Text Elisa Erkelenz
Titelbild Gerhard Kühne
Fotos Arnaud Ele
Videos Florian Schmuck
Juni 2016, ein Konzert in der entweihten Immanuelkirche auf der Veddel. Derya Yildirim stimmt den bittersüßen Song »Gülpembe« an, was übersetzt so viel wie »rosarot« heißt. Ein Hit aus dem Istanbul der 90er, im Original von der Anadolu-Rock-Legende Bariş Manço. »If this song don't give you goosebumps you are probably already dead«, heißt es in den YouTube-Kommentaren. Yildirim ist ungefähr so alt wie der in der Türkei flächendeckend geliebte Song selbst. Lässig sitzt sie in der Mitte des Raumes, in dem die einstigen Kirchenbänke einem großen, persischen Teppich gewichen sind. Die Gemeinde war zu klein geworden, heute ist die Kirche ein internationaler Treffpunkt. Die Stimmung ist gelöst.
Yildirim begleitet sich selbst an der Bağlama. Ein für Aleviten heiliges Instrument, ohne das kein »Cem«, keine spirituelle Versammlung stattfindet. Und spätestens, als sie zu singen beginnt, frage ich mich: Was passiert hier eigentlich gerade? Irgendwas ist in ihrer Stimme, der der Veddeler Rotz nicht abgeht. Irgendetwas, das sehr gut zu diesem Ort passt, zu diesem Stadtteil, der sein Abgehängtsein kultiviert und dabei einen ganz eigenen Reiz nährt. Irgendetwas, das diesen Raum zu verwandeln vermag. Aber was?
Gülpembe
Derya Yildirim, begleitet vom Ensemble Resonanz in der Immanuelkirche auf der Veddel
Dass Derya Yildirim die Langhalslaute Bağlama spielt und auf türkisch singt, ist ihr eigentlich mehr zufällig passiert. Zwar wird die Veddelerin schon als Kind von ihrem musikvernarrten Vater zu türkischen Männerchören gebracht, studiert hat sie dann aber klassisches Klavier auf Lehramt. »Ich hab das eigentlich alles eher so mitgemacht, bin da irgendwie so reingerutscht. War auch immer die totale Spätzünderin.« Ein abstrahierender, manchmal noch leicht irritierter Blick auf das eigene Leben, das ihr bislang eher zuzufliegen scheint.
Der Wendepunkt in ihrer Laufbahn als Künstlerin war ein schwarzer Kaffee im Café Panther in der Marktstraße im Karolinenviertel. Hier trifft Derya Yildirim im Frühjahr 2014 den in Hamburg wie ein bunter Hund bekannten DJ Sebastian Reier, der für ein Projekt auf der Elbinsel Veddel Musiker sucht. Im Auftrag des Deutschen Schauspielhauses stellt er für das Realtheater »New Hamburg« ein Orchester aus dem musikalischen Biotop des Viertels zusammen. »Die Vielfalt organisieren« ist ein von dem Autor Björn Bicker formuliertes Credo für das Projekt, das aus dem Aus- und Einwandererviertel eine Stadt der Zukunft machen will. Aus der Stimme der Abgehängten eine stolze Stimme der Migration.
Beim ersten Treffen ist Derya Yildirim erst einmal sehr zögerlich. Wann es überhaupt los ginge, fragt sie Reier nach längerem Schweigen. Irgendwann sagt sie dann ja.
Zu den Proben im Kellerraum der Kirche bringt sie spontan ihre Bağlama mit und die Oud, eine dickbäuchigere Kurzhalslaute mit Wurzeln in der türkischen Kunstmusik. Wochen verbringt sie nun mit den Lauten und der vom Projekt gestellten Band: Greta Eacott, eine Schlagzeugerin aus England, sowie Musiker des Londoner Labels Catapulte Records.
»Mit Derya und der Band war es sofort ein Match«, freut sich Sebastian Reier, den ich in seinem Plattenladen Groove City im Hamburger Karolinenviertel treffe. Derya Yildirim blickt uns vom Cover eines Stapels Vinyl an. Aus der Begegnung mit den Festival-Musikern hat sich während New Hamburg die Band Grup Şimşek gegründet; deren erste Platte läuft im Laden rauf und runter und verkauft sich inzwischen international. Mit ihrer eigenen Mischung aus mikrotonalem Psychedelic und anatolischer Volksmusik touren sie durch Frankreich, die Schweiz und Deutschland - erhielten Einladungen zum Roskilde Festival, die sie aus Zeitgründen absagten, und zur Biennale Venedig. Ihr unbeirrbar lässig-lasziver Sound, der den Geruch von Istanbuler Vintage-Läden verströmt, trifft einen Nerv und schickt das begeisterte Publikum bei Konzerten auf Zeitreise in die analogen 70er. »An der Speerspitze des türkisch-europäischen Crossover-Pops«, sieht sie ByteFM. Und sie selbst? »Die Band ist wie eine Vitrine für mich«.
Grup Şimşek »Nem Kaldı«
»Ich befinde mich im intensivsten Prozess meiner Identitätsfindung«, erzählt Derya Yildirim im April 2017 bei der Gesprächsreihe Bunkersalon in St. Pauli. Mit ihr auf der Bühne sitzen Jordi Savall und der junge und gedanklich blitzschnelle Philosoph Senthuran Varantharajah. Es geht um musikalische Identitäten, klangliche Verortungen. Ihre direkte Art bricht den intellektuellen Identitätsdiskurs. Sie stößt sich an Zuschreibungen von außen, streift sie von sich wie ein Folklore-Kostüm, das ihr nicht passt. Sie scheint unsicher, wonach sie jetzt suchen soll. Oder ist die Frage nach den Wurzeln ohnehin schon falsch gestellt? »Wo ich herkomme keine Ahnung, die Türkei kenne ich aus den Sommerferien.«
In geistigen Konstrukten findet sie keine Antworten. Sie sucht sie in der Musik, irgendwo zwischen Klavier auf Lehramt, ihrer Band und den anatolischen Lauten.
Auf die Frage, welches Musikstück ihr momentan am nächsten sei, spielt sie ein klassisches Liebeslied, auf der Oud.
Ein Jahr darauf treffen wir uns in Kreuzberg Ecke Schönleinstraße wieder, im Café Zazza. Inzwischen studiert Yildirim nicht mehr Klavier, sondern Bağlama an der Universität der Künste in Berlin. »Als ich gehört habe, dass die UdK darüber nachdenkt, das anzubieten, habe ich das einfach gemacht.«
Bis heute ist sie die einzige Bağlama-Studentin in ganz Deutschland. »Nach ihr hat keiner mehr die Aufnahmeprüfung geschafft«, erzählt Joël Betton. Der ältere, freundliche Herr ist eigentlich Professor für Gitarre an der UdK, hegt aber eine Liebe zu anatolischen Lauten und kämpft für ihren Platz im System. »Es gibt viele hochvirtuose Spieler. Aber keiner schafft den westlichen Teil noch dazu, der ja mit der türkischen Volksmusik auch wenig zu tun hat.« Denn neben Bağlama-Stilen verschiedener Regionen verlangt die Prüfungskommission Klavier und westliche Harmonielehre. Nur das Instrument ist ein anderes, der Rest folgt dem westlichen Kanon.
13 Jahre schon dauert sein Kampf, Seite an Seite mit Taner Akyol und dem Musikethnologen Martin Greve aus Istanbul. Die Früchte des Erfolges lesen sich so sexy wie ein deutsches Musiksystem sein kann: 2013 kürt der Landesmusikrat die Bağlama zum Instrument des Jahres, 2015 wird sie erstmals bei Jugend Musiziert auf Bundesebene aufgenommen, dann folgen Gespräche mit der Hochschule. Lange blieb die UdK trotz Bereitschaft des Präsidenten hart, nicht anders als alle anderen deutschen Universitäten und Musikhochschulen. »Die Sorge ist groß, da ein Fass in Richtung Weltmusik aufzumachen. Das ganze System umzustellen bedeutet natürlich gedanklichen Aufwand. Wie gehen wir mit mündlich überlieferten Traditionen um? Die Anforderungen unseres Systems einfach zu übertragen funktioniert nicht. Du musst Dich in jede Tradition reindenken. Ich habe es dann irgendwann auf dem Ticket der Integration versucht, als Teil der Lehramtsausbildung.« Mit Erfolg: Wer heute Schulmusik studiert, kann die Bağlama als Instrument dazunehmen. Im rein künstlerischen Instrumentalstudium aber ist sie bis heute tabu. So kann das Curriculum unangetastet bleiben - für viele hoch virtuose Bağlama-Spieler aber, die nicht wie Derya parallel noch Klavier studiert haben und die Sonatenhauptsatzform herunterbeten, bleiben die Tore geschlossen. Wer mit dem Instrument einen professionellen Weg einschlagen will, geht in die Türkei.
Derya Yildirim bekommt von diesen hochschulinternen Querelen normalerweise wenig mit. Ein bisschen egal ist es ihr, ein bisschen regt sie sich auf: »Das ist halt schade, dass das so getrennt wird: Mein Studium besteht aus europäischer Klassik, nur das Instrument ist was anderes. Das einzige Nicht-Europäische ist die eine Saz-Stunde in der Woche. Das ist auch schon wieder halbherzig. Heute lerne ich die Spieltechniken der Bağlama aus dem Dersim, bald halte ich ein Referat über Telemann. Dabei gäbe es unendlich viel zu lernen, auch an Theorie.«
Der Saz-Unterricht findet folgerichtig nicht an der UdK, sondern mitten in Kreuzberg statt, in Taner Akyols Musikatelier. Der Mittvierziger begrüßt im Eingang zum Souterrain, mit selbst gedrehter Zigarette im Mund, ohne die Mundwinkel zu verziehen, unfreundlich und warm zugleich. Vierzehn Langhalslauten in verschiedenen Größen und Stimmungen hängen an den Wänden seines Ateliers in der Dieffenbachstraße. Ein Cai ohne Zucker wird serviert, kurzer Smalltalk, dann geht es los.
Einmal pro Woche spielt Derya Yildirim mit dem von Akyol gegründeten Bağlama-Ensemble. Wieder ist sie die einzige Frau. Und einmal in der Woche kommt sie zum Einzelunterricht, lernt neue Spieltechniken und Makams, wie die Skalen der türkischen Kunstmusik genannt werden. Über 600 verschiedene Makamlas können abgeleitet werden, unterteilt werden die Intervalle in so feine, mikrotonale Abstände (Cents), dass sie das wohltemperierte Ohr kaum noch wahr nimmt.
Anders als in vielen alevitischen Kulturvereinen, wo die Bağlama als einstimmiges Begleitinstrument unterrichtet wird, steht bei Akyol die Liebe zu den Feinheiten des Instruments im Zentrum. Noch ein Unterschied zu Yildirims Erfahrungen auf der Veddel. »Bei allem, was Taner an Geschichten und Philosophie erzählt, am Ende des Tages geht es hier rein um die Musik.«
Taner Aykol gehört weltweit zu den besten Bağlama-Virtuosen. Vor allem aber ist er Komponist. Für das Studium der Komposition kam er aus der türkischen Millionenstadt Bursa an die Hochschule Hanns Eisler nach Berlin. Seine Vision ist die Verbindung beider Welten: Er entwickelt die Spieltechniken der Bağlama weiter, von Vibrati über Verzierungen zu neuen Anschlagstechniken, schreibt Stücke für Bağlama und klassische Ensembles vom Streichquartett zum Sinfonieorchester. Seine Lieder werden von der griechischen Ikone Maria Farantouri in der Berliner Philharmonie gesungen, mit seinem Trio ist er in der Hamburger Laeiszhalle zu Gast, singt aber auch Volkslieder in Konzerten.
Das einst bäuerliche Instrument zur Begleitung einstimmiger Lieder hat sich in den vergangenen Jahrzehnten extrem weiterentwickelt, ist inzwischen »hochgezüchtet für die Kunstmusik«, so der Musikethnologe Martin Greve, der die Entwicklungen aus Istanbul beobachtet. Taner Akyol freut das.
»Sie bleibt ein heiliges Instrument, ein Familienmitglied. Wir beten mit ihr, auch wenn ich seit Kindesbeinen Kommunist und Atheist bin.« Die religiöse Bedeutung der von Aleviten auch als »Koran auf Saiten« bezeichneten Bağlama steht für ihn nicht mit seinen künstlerischen Ambitionen in Konflikt.
Er schlägt sie, kratzt sie, versucht neue Klänge aus ihr herauszuholen. »Ich gehe sehr frei mit ihr um, aber ich weiß auch, was ich nicht darf. Ihre Seele dürfen wir nicht anrühren.«
»Die Kunstmusik der Türkei, das war die Musik der Paläste, der Eliten.« Sich als Bağlama-Spieler nicht auf die osmanische Kunstmusik, sondern auf die ebenfalls Jahrhunderte-alte Volksmusik Anatoliens zu berufen, ist für Akyol auch eine Selbstverständlichkeit. Musikalisch, aber auch politisch. »In der Halk Müziği, der Volksmusik, steckt die Seele des Landes, die Geschichten von Massakern, Verfolgung, Nostalgie.« Von »Aşık« zu »Aşık«, »Liebendem« zu »Liebendem«, werden die Lieder und Geschichten seit dem 16. Jahrhundert weitergegeben.
In dieser Tradition sieht er auch die Musiker, die bei den Gezi-Protesten mit ihren Songs rebellierten. Dort lebe die Minnesang-Tradition der Aşıks weiter. »Wir Musiker sind der Wahrheit verpflichtet. Damals wie heute.«
Auch Akyol schreibt keine Musik, ohne – meist politische – Geschichten zu erzählen. Aus den Wurzeln der Volksmusik will er dabei aber auch neue Zweige zeitgenössischer Kunst treiben. Eines seiner Lebensprojekte ist die neue Notation der bis vor wenigen Jahren nur mündlich weitergegebenen Lieder. Er geht behutsam dabei vor. Ordner voller Lieder stehen in seinem Studio, die er zum Teil erstmalig notiert hat, zum Teil weiterbearbeitet, Verzierungen ergänzt. »Das wichtigste dabei ist, dass sie ihren Charakter nicht verlieren.«
Gündüz gece
»Das Leben ist ein langer, schmaler Weg« – das Lied besingt die Endlichkeit des Lebens in all seiner Melancholie und gehört zu den beliebtesten türkischen Volksliedern (Türküs).
Ein Bruder im Geiste bei dieser Vision ist für Akyol der Bağlama-Virtuose und Sänger Arif Sağ. »Was die türkische Volksmusik heute ist, haben wir ihm zu verdanken.« Sein Unterricht findet nach der von Sağ entwickelten Methode statt, ein Poster von einem gemeinsamen Konzert hängt daneben. »Er ist der Meister. Er hat alle regionalen Stile verinnerlicht und hat daraus etwas Eigenes geschaffen. Er hat den Weg freigemacht für einen neuen Umgang mit dem Instrument.«
In der Türkei ist Arif Sağ ein Star. So gehört er zu den Musikern, denen die Luft in der Türkei noch nicht zu dünn wurde. Arif Sağ ist, trotz politisch nicht immer folgsamer Haltung, too big to fail geworden. »Wenn Erdoğan anruft, geht er nicht ran.« Taner Akyol freut auch das.
März 2018. Der vermutlich erste Bağlama-Sound in der Elbphilharmonie. Die Uraufführung von Akyols Komposition »Tertele« für Bağlama und Streichorchester, gespielt von Derya Yildirim und dem Ensemble Resonanz. Ein wichtiger Moment für Yildirim, ihr erstes Konzert mit zeitgenössischer Musik, gleich in der Elbphilharmonie, noch dazu geschrieben von ihrem Lehrer. Die Stimmung ist nicht ohne Anspannung, das Stück zudem aggressiv, spannungsgeladen.
Das soll auch so: »Tertele« nimmt Bezug nimmt auf das Dersim Massaker 1938, bei dem über 70 Tausend Aleviten der türkischen Armee im Rahmen einer ethnischen Säuberung zum Opfer fielen. Ein zu Großen Teilen totgeschwiegener Teil der Geschichte. Das Stück ist eine Art künstlerisches Tagebuch, Vierteltöne kündigen den Widerstand an, Umbrüche sind ein wiederkehrendes Motiv in der musikalischen Struktur.
Nach der Generalprobe regt Taner sich auf: Sein im Programmheft veröffentlichter Werktext wurde umgeschrieben, plötzlich ist von einem »Aufstand« die Rede, wie das Massaker oftmals euphemistisch beschrieben wird, außerdem steht dort, dass Erdoğan sich entschuldigt hätte. »Hat er aber nicht.« Nun steht sein Name drunter. Für Akyol ist es eine persönliche Geschichte – seine Großeltern haben das Massaker erlebt. »Das ist so oft so. Die Kontexte werden verdreht.« Inwiefern oft? »Das passiert in der Klassik-Welt ständig. Neulich wurde ich als Flüchtling angekündigt, und überhaupt immer mehr für interkulturelle Projekte angefragt, die sich wenig für Musik interessieren.« Was wäre sein Wunsch? »Selbstverständlich eingeladen werden, im normalen Programm. Und dass die Leute fragen, sich informieren.«
Seinem Ziel, die Bağlama in den Konzertsaal zu holen, kommt er an diesem Abend trotzdem sehr nah. Yildirim spielt hochkonzentriert, der Sound der Bağlama verbindet sich metallisch und etwas schroff mit dem der Streicher.
Als sie dann zur Zugabe auch noch singt, nimmt sie den Saal ein, das Publikum feiert, grölt, schreit, klatscht. Backstage trinkt sie Champagner, holt ihre Familie dazu, nimmt den Ort mit dem ihr eigenen, Veddeler Charme ein.
Ob die Bağlama und Derya Yildirim den Konzertsaal und Abende wie diese brauchen? Wer weiß. Die freudetrunkene Publikum an diesem Abend aber scheint sich einig: Der Konzertsaal braucht Derya Yildirim.
Zurück in Berlin. Gegenüber von Taner Akyols Atelier liegt das Restaurant »Zitrone«. Hier geht seine politische Arbeit weiter. Ihm und seinen Cousins gehört der Laden, gekocht wird schwäbisch. Am Kamin des schlicht eingerichteten Restaurants trifft sich die türkisch-intellektuelle Diaspora, Regisseure, Politiker, Künstler. Fazil Say geht ein und aus, aber auch Cem Özdemir lässt sich regelmäßig blicken. Heute ist Star-Regisseur Mustafa Altıoklar am Kamin, der vor zwei Jahren aus Istanbul nach Berlin geflohen ist. Angeklagt wegen Präsidentenbeleidigung, da er »ihm«, wie Erdoğan hier gerne genannt wird, eine narzisstische Persönlichkeitsstörung zuschrieb. Inzwischen hat sich ein Verein dort gegründet, der Künstler und politisch Verfolgte von Istanbul nach Berlin holt. Taner Akyol ist im Vorstand der »Kulturinitiative der Türkei«. Sie helfen mit Papieren, aber auch Räumen und Kontakten. »Es geht darum, dass die Leute hier direkt wieder als Künstler arbeiten können. Das ist wichtig.«
Als die meisten gegangen sind, endet der Abend mit Raki und Volksliedern am Kamin, eine Gruppe türkischer Regisseure und Schauspieler ist noch da und singt Zeile für Zeile aus vollem Herzen mit.
Als die Baglama zu Taner Akyol wandert, verstummt die Gruppe. Alle hören still dem virtuosen Spiel, schließen die Augen, Tränen fließen. Als er anfängt zu singen, setzen alle wieder mit ein. Es wird spät.
Derya Yildirim ist da längst zu Hause, um ihr Telemann-Referat vorzubereiten. ¶
Text Elisa Erkelenz
Titelbild Gerhard Kühne
Fotos Arnaud Ele
Videos Florian Schmuck
Juni 2016, ein Konzert in der entweihten Immanuelkirche auf der Veddel. Derya Yildirim stimmt den bittersüßen Song »Gülpembe« an, was übersetzt so viel wie »rosarot« heißt. Ein Hit aus dem Istanbul der 90er, im Original von der Anadolu-Rock-Legende Bariş Manço. »If this song don't give you goosebumps you are probably already dead«, heißt es in den YouTube-Kommentaren. Yildirim ist ungefähr so alt wie der in der Türkei flächendeckend geliebte Song selbst. Lässig sitzt sie in der Mitte des Raumes, in dem die einstigen Kirchenbänke einem großen, persischen Teppich gewichen sind. Die Gemeinde war zu klein geworden, heute ist die Kirche ein internationaler Treffpunkt. Die Stimmung ist gelöst.
Yildirim begleitet sich selbst an der Bağlama. Ein für Aleviten heiliges Instrument, ohne das kein »Cem«, keine spirituelle Versammlung stattfindet. Und spätestens, als sie zu singen beginnt, frage ich mich: Was passiert hier eigentlich gerade? Irgendwas ist in ihrer Stimme, der der Veddeler Rotz nicht abgeht. Irgendetwas, das sehr gut zu diesem Ort passt, zu diesem Stadtteil, der sein Abgehängtsein kultiviert und dabei einen ganz eigenen Reiz nährt. Irgendetwas, das diesen Raum zu verwandeln vermag. Aber was?
Gülpembe
Derya Yildirim, begleitet vom Ensemble Resonanz in der Immanuelkirche auf der Veddel
Dass Derya Yildirim die Langhalslaute Bağlama spielt und auf türkisch singt, ist ihr eigentlich mehr zufällig passiert. Zwar wird die Veddelerin schon als Kind von ihrem musikvernarrten Vater zu türkischen Männerchören gebracht, studiert hat sie dann aber klassisches Klavier auf Lehramt. »Ich hab das eigentlich alles eher so mitgemacht, bin da irgendwie so reingerutscht. War auch immer die totale Spätzünderin.« Ein abstrahierender, manchmal noch leicht irritierter Blick auf das eigene Leben, das ihr bislang eher zuzufliegen scheint.
Der Wendepunkt in ihrer Laufbahn als Künstlerin war ein schwarzer Kaffee im Café Panther in der Marktstraße im Karolinenviertel. Hier trifft Derya Yildirim im Frühjahr 2014 den in Hamburg wie ein bunter Hund bekannten DJ Sebastian Reier, der für ein Projekt auf der Elbinsel Veddel Musiker sucht. Im Auftrag des Deutschen Schauspielhauses stellt er für das Realtheater »New Hamburg« ein Orchester aus dem musikalischen Biotop des Viertels zusammen. »Die Vielfalt organisieren« ist ein von dem Autor Björn Bicker formuliertes Credo für das Projekt, das aus dem Aus- und Einwandererviertel eine Stadt der Zukunft machen will. Aus der Stimme der Abgehängten eine stolze Stimme der Migration.
Beim ersten Treffen ist Derya Yildirim erst einmal sehr zögerlich. Wann es überhaupt los ginge, fragt sie Reier nach längerem Schweigen. Irgendwann sagt sie dann ja.
Zu den Proben im Kellerraum der Kirche bringt sie spontan ihre Bağlama mit und die Oud, eine dickbäuchigere Kurzhalslaute mit Wurzeln in der türkischen Kunstmusik. Wochen verbringt sie nun mit den Lauten und der vom Projekt gestellten Band: Greta Eacott, eine Schlagzeugerin aus England, sowie Musiker des Londoner Labels Catapulte Records.
»Mit Derya und der Band war es sofort ein Match«, freut sich Sebastian Reier, den ich in seinem Plattenladen Groove City im Hamburger Karolinenviertel treffe. Derya Yildirim blickt uns vom Cover eines Stapels Vinyl an. Aus der Begegnung mit den Festival-Musikern hat sich während New Hamburg die Band Grup Şimşek gegründet; deren erste Platte läuft im Laden rauf und runter und verkauft sich inzwischen international. Mit ihrer eigenen Mischung aus mikrotonalem Psychedelic und anatolischer Volksmusik touren sie durch Frankreich, die Schweiz und Deutschland - erhielten Einladungen zum Roskilde Festival, die sie aus Zeitgründen absagten, und zur Biennale Venedig. Ihr unbeirrbar lässig-lasziver Sound, der den Geruch von Istanbuler Vintage-Läden verströmt, trifft einen Nerv und schickt das begeisterte Publikum bei Konzerten auf Zeitreise in die analogen 70er. »An der Speerspitze des türkisch-europäischen Crossover-Pops«, sieht sie ByteFM. Und sie selbst? »Die Band ist wie eine Vitrine für mich«.
Grup Şimşek »Nem Kaldı«
»Ich befinde mich im intensivsten Prozess meiner Identitätsfindung«, erzählt Derya Yildirim im April 2017 bei der Gesprächsreihe Bunkersalon in St. Pauli. Mit ihr auf der Bühne sitzen Jordi Savall und der junge und gedanklich blitzschnelle Philosoph Senthuran Varantharajah. Es geht um musikalische Identitäten, klangliche Verortungen. Ihre direkte Art bricht den intellektuellen Identitätsdiskurs. Sie stößt sich an Zuschreibungen von außen, streift sie von sich wie ein Folklore-Kostüm, das ihr nicht passt. Sie scheint unsicher, wonach sie jetzt suchen soll. Oder ist die Frage nach den Wurzeln ohnehin schon falsch gestellt? »Wo ich herkomme keine Ahnung, die Türkei kenne ich aus den Sommerferien.«
In geistigen Konstrukten findet sie keine Antworten. Sie sucht sie in der Musik, irgendwo zwischen Klavier auf Lehramt, ihrer Band und den anatolischen Lauten.
Auf die Frage, welches Musikstück ihr momentan am nächsten sei, spielt sie ein klassisches Liebeslied, auf der Oud.
Ein Jahr darauf treffen wir uns in Kreuzberg Ecke Schönleinstraße wieder, im Café Zazza. Inzwischen studiert Yildirim nicht mehr Klavier, sondern Bağlama an der Universität der Künste in Berlin. »Als ich gehört habe, dass die UdK darüber nachdenkt, das anzubieten, habe ich das einfach gemacht.«
Bis heute ist sie die einzige Bağlama-Studentin in ganz Deutschland. »Nach ihr hat keiner mehr die Aufnahmeprüfung geschafft«, erzählt Joël Betton. Der ältere, freundliche Herr ist eigentlich Professor für Gitarre an der UdK, hegt aber eine Liebe zu anatolischen Lauten und kämpft für ihren Platz im System. »Es gibt viele hochvirtuose Spieler. Aber keiner schafft den westlichen Teil noch dazu, der ja mit der türkischen Volksmusik auch wenig zu tun hat.« Denn neben Bağlama-Stilen verschiedener Regionen verlangt die Prüfungskommission Klavier und westliche Harmonielehre. Nur das Instrument ist ein anderes, der Rest folgt dem westlichen Kanon.
13 Jahre schon dauert sein Kampf, Seite an Seite mit Taner Akyol und dem Musikethnologen Martin Greve aus Istanbul. Die Früchte des Erfolges lesen sich so sexy wie ein deutsches Musiksystem sein kann: 2013 kürt der Landesmusikrat die Bağlama zum Instrument des Jahres, 2015 wird sie erstmals bei Jugend Musiziert auf Bundesebene aufgenommen, dann folgen Gespräche mit der Hochschule. Lange blieb die UdK trotz Bereitschaft des Präsidenten hart, nicht anders als alle anderen deutschen Universitäten und Musikhochschulen. »Die Sorge ist groß, da ein Fass in Richtung Weltmusik aufzumachen. Das ganze System umzustellen bedeutet natürlich gedanklichen Aufwand. Wie gehen wir mit mündlich überlieferten Traditionen um? Die Anforderungen unseres Systems einfach zu übertragen funktioniert nicht. Du musst Dich in jede Tradition reindenken. Ich habe es dann irgendwann auf dem Ticket der Integration versucht, als Teil der Lehramtsausbildung.« Mit Erfolg: Wer heute Schulmusik studiert, kann die Bağlama als Instrument dazunehmen. Im rein künstlerischen Instrumentalstudium aber ist sie bis heute tabu. So kann das Curriculum unangetastet bleiben - für viele hoch virtuose Bağlama-Spieler aber, die nicht wie Derya parallel noch Klavier studiert haben und die Sonatenhauptsatzform herunterbeten, bleiben die Tore geschlossen. Wer mit dem Instrument einen professionellen Weg einschlagen will, geht in die Türkei.
Derya Yildirim bekommt von diesen hochschulinternen Querelen normalerweise wenig mit. Ein bisschen egal ist es ihr, ein bisschen regt sie sich auf: »Das ist halt schade, dass das so getrennt wird: Mein Studium besteht aus europäischer Klassik, nur das Instrument ist was anderes. Das einzige Nicht-Europäische ist die eine Saz-Stunde in der Woche. Das ist auch schon wieder halbherzig. Heute lerne ich die Spieltechniken der Bağlama aus dem Dersim, bald halte ich ein Referat über Telemann. Dabei gäbe es unendlich viel zu lernen, auch an Theorie.«
Der Saz-Unterricht findet folgerichtig nicht an der UdK, sondern mitten in Kreuzberg statt, in Taner Akyols Musikatelier. Der Mittvierziger begrüßt im Eingang zum Souterrain, mit selbst gedrehter Zigarette im Mund, ohne die Mundwinkel zu verziehen, unfreundlich und warm zugleich. Vierzehn Langhalslauten in verschiedenen Größen und Stimmungen hängen an den Wänden seines Ateliers in der Dieffenbachstraße. Ein Cai ohne Zucker wird serviert, kurzer Smalltalk, dann geht es los.
Einmal pro Woche spielt Derya Yildirim mit dem von Akyol gegründeten Bağlama-Ensemble. Wieder ist sie die einzige Frau. Und einmal in der Woche kommt sie zum Einzelunterricht, lernt neue Spieltechniken und Makams, wie die Skalen der türkischen Kunstmusik genannt werden. Über 600 verschiedene Makamlas können abgeleitet werden, unterteilt werden die Intervalle in so feine, mikrotonale Abstände (Cents), dass sie das wohltemperierte Ohr kaum noch wahr nimmt.
Anders als in vielen alevitischen Kulturvereinen, wo die Bağlama als einstimmiges Begleitinstrument unterrichtet wird, steht bei Akyol die Liebe zu den Feinheiten des Instruments im Zentrum. Noch ein Unterschied zu Yildirims Erfahrungen auf der Veddel. »Bei allem, was Taner an Geschichten und Philosophie erzählt, am Ende des Tages geht es hier rein um die Musik.«
Taner Aykol gehört weltweit zu den besten Bağlama-Virtuosen. Vor allem aber ist er Komponist. Für das Studium der Komposition kam er aus der türkischen Millionenstadt Bursa an die Hochschule Hanns Eisler nach Berlin. Seine Vision ist die Verbindung beider Welten: Er entwickelt die Spieltechniken der Bağlama weiter, von Vibrati über Verzierungen zu neuen Anschlagstechniken, schreibt Stücke für Bağlama und klassische Ensembles vom Streichquartett zum Sinfonieorchester. Seine Lieder werden von der griechischen Ikone Maria Farantouri in der Berliner Philharmonie gesungen, mit seinem Trio ist er in der Hamburger Laeiszhalle zu Gast, singt aber auch Volkslieder in Konzerten.
Das einst bäuerliche Instrument zur Begleitung einstimmiger Lieder hat sich in den vergangenen Jahrzehnten extrem weiterentwickelt, ist inzwischen »hochgezüchtet für die Kunstmusik«, so der Musikethnologe Martin Greve, der die Entwicklungen aus Istanbul beobachtet. Taner Akyol freut das.
»Sie bleibt ein heiliges Instrument, ein Familienmitglied. Wir beten mit ihr, auch wenn ich seit Kindesbeinen Kommunist und Atheist bin.« Die religiöse Bedeutung der von Aleviten auch als »Koran auf Saiten« bezeichneten Bağlama steht für ihn nicht mit seinen künstlerischen Ambitionen in Konflikt.
Er schlägt sie, kratzt sie, versucht neue Klänge aus ihr herauszuholen. »Ich gehe sehr frei mit ihr um, aber ich weiß auch, was ich nicht darf. Ihre Seele dürfen wir nicht anrühren.«
»Die Kunstmusik der Türkei, das war die Musik der Paläste, der Eliten.« Sich als Bağlama-Spieler nicht auf die osmanische Kunstmusik, sondern auf die ebenfalls Jahrhunderte-alte Volksmusik Anatoliens zu berufen, ist für Akyol auch eine Selbstverständlichkeit. Musikalisch, aber auch politisch. »In der Halk Müziği, der Volksmusik, steckt die Seele des Landes, die Geschichten von Massakern, Verfolgung, Nostalgie.« Von »Aşık« zu »Aşık«, »Liebendem« zu »Liebendem«, werden die Lieder und Geschichten seit dem 16. Jahrhundert weitergegeben.
In dieser Tradition sieht er auch die Musiker, die bei den Gezi-Protesten mit ihren Songs rebellierten. Dort lebe die Minnesang-Tradition der Aşıks weiter. »Wir Musiker sind der Wahrheit verpflichtet. Damals wie heute.«
Auch Akyol schreibt keine Musik, ohne – meist politische – Geschichten zu erzählen. Aus den Wurzeln der Volksmusik will er dabei aber auch neue Zweige zeitgenössischer Kunst treiben. Eines seiner Lebensprojekte ist die neue Notation der bis vor wenigen Jahren nur mündlich weitergegebenen Lieder. Er geht behutsam dabei vor. Ordner voller Lieder stehen in seinem Studio, die er zum Teil erstmalig notiert hat, zum Teil weiterbearbeitet, Verzierungen ergänzt. »Das wichtigste dabei ist, dass sie ihren Charakter nicht verlieren.«
Gündüz gece
»Das Leben ist ein langer, schmaler Weg« – das Lied besingt die Endlichkeit des Lebens in all seiner Melancholie und gehört zu den beliebtesten türkischen Volksliedern (Türküs).
Ein Bruder im Geiste bei dieser Vision ist für Akyol der Bağlama-Virtuose und Sänger Arif Sağ. »Was die türkische Volksmusik heute ist, haben wir ihm zu verdanken.« Sein Unterricht findet nach der von Sağ entwickelten Methode statt, ein Poster von einem gemeinsamen Konzert hängt daneben. »Er ist der Meister. Er hat alle regionalen Stile verinnerlicht und hat daraus etwas Eigenes geschaffen. Er hat den Weg freigemacht für einen neuen Umgang mit dem Instrument.«
In der Türkei ist Arif Sağ ein Star. So gehört er zu den Musikern, denen die Luft in der Türkei noch nicht zu dünn wurde. Arif Sağ ist, trotz politisch nicht immer folgsamer Haltung, too big to fail geworden. »Wenn Erdoğan anruft, geht er nicht ran.« Taner Akyol freut auch das.
März 2018. Der vermutlich erste Bağlama-Sound in der Elbphilharmonie. Die Uraufführung von Akyols Komposition »Tertele« für Bağlama und Streichorchester, gespielt von Derya Yildirim und dem Ensemble Resonanz. Ein wichtiger Moment für Yildirim, ihr erstes Konzert mit zeitgenössischer Musik, gleich in der Elbphilharmonie, noch dazu geschrieben von ihrem Lehrer. Die Stimmung ist nicht ohne Anspannung, das Stück zudem aggressiv, spannungsgeladen.
Das soll auch so: »Tertele« nimmt Bezug nimmt auf das Dersim Massaker 1938, bei dem über 70 Tausend Aleviten der türkischen Armee im Rahmen einer ethnischen Säuberung zum Opfer fielen. Ein zu Großen Teilen totgeschwiegener Teil der Geschichte. Das Stück ist eine Art künstlerisches Tagebuch, Vierteltöne kündigen den Widerstand an, Umbrüche sind ein wiederkehrendes Motiv in der musikalischen Struktur.
Nach der Generalprobe regt Taner sich auf: Sein im Programmheft veröffentlichter Werktext wurde umgeschrieben, plötzlich ist von einem »Aufstand« die Rede, wie das Massaker oftmals euphemistisch beschrieben wird, außerdem steht dort, dass Erdoğan sich entschuldigt hätte. »Hat er aber nicht.« Nun steht sein Name drunter. Für Akyol ist es eine persönliche Geschichte – seine Großeltern haben das Massaker erlebt. »Das ist so oft so. Die Kontexte werden verdreht.« Inwiefern oft? »Das passiert in der Klassik-Welt ständig. Neulich wurde ich als Flüchtling angekündigt, und überhaupt immer mehr für interkulturelle Projekte angefragt, die sich wenig für Musik interessieren.« Was wäre sein Wunsch? »Selbstverständlich eingeladen werden, im normalen Programm. Und dass die Leute fragen, sich informieren.«
Seinem Ziel, die Bağlama in den Konzertsaal zu holen, kommt er an diesem Abend trotzdem sehr nah. Yildirim spielt hochkonzentriert, der Sound der Bağlama verbindet sich metallisch und etwas schroff mit dem der Streicher.
Als sie dann zur Zugabe auch noch singt, nimmt sie den Saal ein, das Publikum feiert, grölt, schreit, klatscht. Backstage trinkt sie Champagner, holt ihre Familie dazu, nimmt den Ort mit dem ihr eigenen, Veddeler Charme ein.
Ob die Bağlama und Derya Yildirim den Konzertsaal und Abende wie diese brauchen? Wer weiß. Die freudetrunkene Publikum an diesem Abend aber scheint sich einig: Der Konzertsaal braucht Derya Yildirim.
Zurück in Berlin. Gegenüber von Taner Akyols Atelier liegt das Restaurant »Zitrone«. Hier geht seine politische Arbeit weiter. Ihm und seinen Cousins gehört der Laden, gekocht wird schwäbisch. Am Kamin des schlicht eingerichteten Restaurants trifft sich die türkisch-intellektuelle Diaspora, Regisseure, Politiker, Künstler. Fazil Say geht ein und aus, aber auch Cem Özdemir lässt sich regelmäßig blicken. Heute ist Star-Regisseur Mustafa Altıoklar am Kamin, der vor zwei Jahren aus Istanbul nach Berlin geflohen ist. Angeklagt wegen Präsidentenbeleidigung, da er »ihm«, wie Erdoğan hier gerne genannt wird, eine narzisstische Persönlichkeitsstörung zuschrieb. Inzwischen hat sich ein Verein dort gegründet, der Künstler und politisch Verfolgte von Istanbul nach Berlin holt. Taner Akyol ist im Vorstand der »Kulturinitiative der Türkei«. Sie helfen mit Papieren, aber auch Räumen und Kontakten. »Es geht darum, dass die Leute hier direkt wieder als Künstler arbeiten können. Das ist wichtig.«
Als die meisten gegangen sind, endet der Abend mit Raki und Volksliedern am Kamin, eine Gruppe türkischer Regisseure und Schauspieler ist noch da und singt Zeile für Zeile aus vollem Herzen mit.
Als die Baglama zu Taner Akyol wandert, verstummt die Gruppe. Alle hören still dem virtuosen Spiel, schließen die Augen, Tränen fließen. Als er anfängt zu singen, setzen alle wieder mit ein. Es wird spät.
Derya Yildirim ist da längst zu Hause, um ihr Telemann-Referat vorzubereiten. ¶
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OUTERNATIONAL wird kuratiert von Elisa Erkelenz und ist ein Kooperationsprojekt von PODIUM Esslingen und VAN Magazin im Rahmen des Fellowship-Programms #bebeethoven anlässlich des Beethoven-Jubiläums 2020 – maßgeblich gefördert von der Kulturstiftung des Bundes sowie dem Land Baden-Württemberg, der Baden-Württemberg Stiftung und der L-Bank.
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