»Music does not stand still«, sagt der Musikforscher Michael Church. »When people migrate, it migrates with them.« Was aber passiert, wenn nicht Menschen, sondern künstlerische Motive, Stilelemente, Formen sich auf Reisen begeben? Welche Fehldeutungen und Machtansprüche verbergen sich unter dem Passierschein der kulturellen Aneignung, zwischen Orientalismus und Folklore? In einer dreiteiligen Serie versucht Patrick Hahn nach Indien zu reisen, durchhorcht einige prägnante Beispiele der nordwesteuropäischen Musikgeschichte und stellt sich den Ambivalenzen der Kulturellen Appropriation anhand ausgewählter »West-Eastern Divas«. In dieser zweiten Folge guckt er Schiller, Hindemith, Weber und Rousseau beim Verwursten musikalischer und literarischer Mitbringsel aus Asien über die Schulter.
Text Patrick Hahn
Titelbild Bühnenbild-Entwurfsskizze für Puccinis Turandot, Enrico d'Assia, (CC BY-SA 3.0)
Das Wissen über die Musiken der Welt wurde ab dem 17. Jahrhundert in dem Maße größer, wie die Erde durch die Aktivitäten von Handlungsreisenden, Missionaren, Eroberern und Diplomaten kleiner wurde. Reiseberichte polyglotter Briefschreiber ließen an den Höfen und in den wuchernden Städten die Faszination für »das Fremde« wachsen. Mit dieser Zunahme an »Weltwissen« entstand ein utopischer Impuls: alles Wissbare vollständig zu sammeln und zugänglich zu machen in einer Enzyklopädie. Dieses Projekt französischer Gelehrter verkörpert in siebzehn Bänden die Idee der Aufklärung. Einer der wichtigsten Mitarbeiter der Enzyklopädie war der schweizer Philosoph und Komponist Jean-Jacques Rousseau. In seinem Wörterbuch der Musik, erschienen 1767, druckte Rousseau auch eine »chinesische Melodie« ab, die 1735 durch den Jesuitenpater Jean-Baptiste Du Halde erstmals in Frankreich veröffentlicht worden war. Du Halde war einer der ersten einflussreichen Sinologen und publizierte das vierbändige Standardwerk Ausführliche Beschreibung des Chinesischen Reichs und der grossen Tartarey. Hierfür musste er nicht selbst reisen: Er sammelte und redigierte die Berichte seiner Ordensbrüder (und sprach selbst auch kein Chinesisch), darunter auch einige zur Musik. Rousseau hat es nicht nötig, die kulturimperalistische Haltung des Kirchenmannes einzunehmen, der sich über die »Degeneriertheit« der postalisch übermittelten Melodien mokierte, er konzentriert sich darauf, deren Andersartigkeit zu beschreiben – soweit sie ihm, ebenfalls in der Pariser Gelehrtenstube, zugänglich werden konnte. Rousseaus Beobachtung, dass eine chinesische Melodie, eine persische Melodie sowie Gesänge amerikanischer Ureinwohner Ähnlichkeiten mit der europäischen Musik aufweisen, lässt in ihm jedenfalls nicht die Gewissheit reifen, dass Regeln der europäischen Musik universal gültig seien, vielmehr nähern sie seinen Zweifel an der »Intelligenz und der Treue [Intelligence et loyalité] jener, die uns diese Melodien übermittelt haben«.
Seine – begründete – wissenschaftliche Skepsis hinderte Rousseau bekanntlich nicht, sein folgenreiches Bild vom »edlen Wilden« zu konstruieren der – im Gegensatz zum modernen Stadtmenschen – im Einklang mit der Natur lebe. Statt um solche diskriminierende Überhöhung des »Anderen« soll es hier allerdings um die »Karriere« der von Rousseau überlieferten Melodie gehen, die zugleich einen Seitenblick darauf erlaubt, wie verwoben literarische und musikalische »(Über-)lieferketten« sind und wie mannigfach produktiv die Missverständnisse fortwirken. Zur Prominenz gelangt die »chinesische Melodie« nämlich in Carl Maria von Webers Bühnenmusik zu Friedrich Schillers Turandot. Der Titel Turandot ist heute vor allem durch Giacomo Puccinis gleichnamige Oper bekannt, die als ein Musterbeispiel für das von Edward Said beschrieben Prinzip der »Orientalisierung des Orients« durch den Okzident angesehen werden kann: Die beiden weiblichen Hauptfiguren Turandot und Liu sind stereotypische Beispiele für die »Dragon Lady« und den »Butterfly«, das furchteinflößende, bedrohliche »Andere« auf der einen und die devote, zur Selbstaufopferung bereite, gehorsame Passive auf der anderen Seite. In dem Maße, wie Turandot sämtliche damals herrschenden Vorurteile gegenüber Asiat:innen auf sich vereint, erscheint Calaf, die männliche Hauptfigur der Oper, als die Verkörperung sämtlicher westlicher »Prinzipien«. Doch nicht Puccinis – bereits in der Oper Madame Butterfly manifester – klischeebeladener Orientalismus soll steht hier zur Debatte. (Auch wenn es interessant wäre, an anderer Stelle der Frage nachzugehen, wie Tonalitäts- und Exotismusdiskurs einander berühren: Dienen die exotischen Transgressionen Puccini doch als Vorwand für harmonische Exzesse, die ihn – zum ersten und einzigen Mal – an den Rand der Tonalität führen.) Zunächst soll die Stoffgeschichte nachvollzogen werden, die zu Tausendundein Tag führt, einer Erzählsammlung, die der französische Orientalist François Pétis de la Croix zwischen 1710 und 1712 veröffentlichte. Sein Versuch, an den Erfolg der 1704 in Frankreich erschienen Geschichten aus Tausendundeiner Nacht anzuschließen, war ihm nicht wie gewünscht vergönnt und bis auf die »Tochter von Turan«, was Turandot im Persischen bedeutet, sind die meisten Erzählungen heute dem Gedächtnis entrissen.
Carlo Gozzi, der italienische Dichter der Commedia dell’Arte, bearbeitete Turandot für das venezianische Teatro San Samuele. Friedrich Schiller lieferte die Fassung für Goethes Weimarer Bühne, wo Turandot als eine Art Rätselshow aufgeführt wurde: Turandots Rätsel für Kalif (wie er bei Schiller heißt) wurden für jede Aufführung neu geschrieben, um das Publikum zu animieren, die Inszenierung mehrfach zu besuchen. Als Carl Maria von Weber, damals Sekretär in Diensten des Herzogs Ludwig von Stuttgart, den Auftrag erhielt, eine Bühnenmusik zu Schillers Stück zu schreiben, ging er in die wohl ausgestattete Hofbibliothek, wo er auf Rousseaus »air chinois« stieß. Sie wurde zum Hauptmotiv seiner Ouvertüre und die simplistische Instrumentierung mit Flöten und Trommeln sollte bestimmt den Anstrich der Authentizität unterstützen. Webers Ansatz, einem romantischen Theaterstück mit exotischem Setting in wissenschaftlicher Beflissenheit ein »originales« Dekorum zu geben scheint noch aller Ehren wert, zumal er keinen Versuch unternimmt, das Thema gegenüber der Quelle zu verändern: Er stellt es aus, als ein Objet trouvé. Das unterscheidet ihn wiederum von Paul Hindemith, der diese Melodie in seinen Sinfonischen Metamorphosen nach allen Regeln des Tonsatzes durch den Wolf dreht. Hindemith steigert zunächst den Exotismusfaktor der Melodie durch die Alterierung von drei Tonstufen: Er verbiegt sie, schrägt sie an. Auf die Exposition des Themas über einem flirrenden Streicherteppich lässt er für einen Moment nichts als Schlaginstrumente sprechen – einen Kniff, den er sich auch für das Ende des Satzes aufhebt: Nach einer kraftmeierischen Fuge bleibt nichts als der »zeitlose«, archaische Hintergrund der Schlaginstrumente übrig. Eine Relativierung des »eigenen Standpunktes«? Wohl kaum. Präsentieren sich doch die vorangehenden sieben Minuten weitgehend als ein Triumph der Kompositionstechnik über das Material. Selbst mit »schrägen Tönen« kann dieser Meister Fugen schreiben! Vollends scheint eine Verballhornung des Themas im Big Band Sound die Position zu reklamieren: Mit solcher Technik lässt sich die gesamte Welt beherrschen!
Wohl wahr: Im Jahr 1943 mögen Anspielungen an Big Band-Klänge für einen in Deutschland mit Aufführungsverbot belegten Komponisten eine andere Bedeutung gehabt haben als für einen Hörer aus des Jahres 2020. Frappierend bleibt jedoch die hegemoniale Geste, mit der hier Stile und Kulturen vereinnahmt werden. Dabei hätte Hindemith durchaus Gelegenheit gehabt, sein interkulturelles Verständnis auszubauen. 1932 nahm er in Kairo am ersten Kongress für arabische Musik teil. Ein Kongress, der zu einem Katalysator wurde nicht nur der Erforschung der arabischen Musikkulturen, sondern auch zu ihrer zukünftigen Entwicklung. Zu Hindemiths Peer Group zählte neben den deutschen Musikforschern Erich von Hornbostel, Curt Sachs, Wilhelm Heinitz und Johannes Wolf vor allem Bela Bartók. Bartók und Hindemith nutzten die Gelegenheit zur Erkundung der Pyramiden und anderer archäologischer Stätten offenbar so weidlich, dass es Stimmen gab, die forderten, dass ihnen die Spesen für die Anreise zum Kongress nicht erstattet werden sollten.
Präsent zeigte sich die deutsche Wissenschaftlergruppe jedoch, als an die Abstimmung zur Frage ging, ob das Klavier als Instrument in die ägyptische Musik eingeführt werden sollte. Mit einer Stimme Mehrheit stimmte die »Kommission für Musikinstrumente« schließlich dafür. Es dauerte noch mehrere Jahrzehnte bis mit dem Synthesizer schließlich ein Instrument zur Verfügung stand, mit dessen Hilfe man die Mechanik des Tastendrucks und die Tonabstände der Maqāmāt auf idiomatische Weise verbinden konnte. In Paul Hindemiths Nachlass fand sich ein Fragment gebliebener »mehrstimmiger Versuch für ägyptische Instrumente«. Und Indien? Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass sich die persischen Erzählungen aus Tausendundein Tag ihrerseits aus der indischen Komödiensammlung Die Freude nach dem Kummer speisen. Nächstes Mal reisen wir wirklich nach Indien. Versprochen. ¶
»Music does not stand still«, sagt der Musikforscher Michael Church. »When people migrate, it migrates with them.« Was aber passiert, wenn nicht Menschen, sondern künstlerische Motive, Stilelemente, Formen sich auf Reisen begeben? Welche Fehldeutungen und Machtansprüche verbergen sich unter dem Passierschein der kulturellen Aneignung, zwischen Orientalismus und Folklore? In einer dreiteiligen Serie versucht Patrick Hahn nach Indien zu reisen, durchhorcht einige prägnante Beispiele der nordwesteuropäischen Musikgeschichte und stellt sich den Ambivalenzen der Kulturellen Appropriation anhand ausgewählter »West-Eastern Divas«. In dieser zweiten Folge guckt er Schiller, Hindemith, Weber und Rousseau beim Verwursten musikalischer und literarischer Mitbringsel aus Asien über die Schulter.
Text Patrick Hahn
Titelbild Bühnenbild-Entwurfsskizze für Puccinis Turandot, Enrico d'Assia, (CC BY-SA 3.0)
Das Wissen über die Musiken der Welt wurde ab dem 17. Jahrhundert in dem Maße größer, wie die Erde durch die Aktivitäten von Handlungsreisenden, Missionaren, Eroberern und Diplomaten kleiner wurde. Reiseberichte polyglotter Briefschreiber ließen an den Höfen und in den wuchernden Städten die Faszination für »das Fremde« wachsen. Mit dieser Zunahme an »Weltwissen« entstand ein utopischer Impuls: alles Wissbare vollständig zu sammeln und zugänglich zu machen in einer Enzyklopädie. Dieses Projekt französischer Gelehrter verkörpert in siebzehn Bänden die Idee der Aufklärung. Einer der wichtigsten Mitarbeiter der Enzyklopädie war der schweizer Philosoph und Komponist Jean-Jacques Rousseau. In seinem Wörterbuch der Musik, erschienen 1767, druckte Rousseau auch eine »chinesische Melodie« ab, die 1735 durch den Jesuitenpater Jean-Baptiste Du Halde erstmals in Frankreich veröffentlicht worden war. Du Halde war einer der ersten einflussreichen Sinologen und publizierte das vierbändige Standardwerk Ausführliche Beschreibung des Chinesischen Reichs und der grossen Tartarey. Hierfür musste er nicht selbst reisen: Er sammelte und redigierte die Berichte seiner Ordensbrüder (und sprach selbst auch kein Chinesisch), darunter auch einige zur Musik. Rousseau hat es nicht nötig, die kulturimperalistische Haltung des Kirchenmannes einzunehmen, der sich über die »Degeneriertheit« der postalisch übermittelten Melodien mokierte, er konzentriert sich darauf, deren Andersartigkeit zu beschreiben – soweit sie ihm, ebenfalls in der Pariser Gelehrtenstube, zugänglich werden konnte. Rousseaus Beobachtung, dass eine chinesische Melodie, eine persische Melodie sowie Gesänge amerikanischer Ureinwohner Ähnlichkeiten mit der europäischen Musik aufweisen, lässt in ihm jedenfalls nicht die Gewissheit reifen, dass Regeln der europäischen Musik universal gültig seien, vielmehr nähern sie seinen Zweifel an der »Intelligenz und der Treue [Intelligence et loyalité] jener, die uns diese Melodien übermittelt haben«.
Seine – begründete – wissenschaftliche Skepsis hinderte Rousseau bekanntlich nicht, sein folgenreiches Bild vom »edlen Wilden« zu konstruieren der – im Gegensatz zum modernen Stadtmenschen – im Einklang mit der Natur lebe. Statt um solche diskriminierende Überhöhung des »Anderen« soll es hier allerdings um die »Karriere« der von Rousseau überlieferten Melodie gehen, die zugleich einen Seitenblick darauf erlaubt, wie verwoben literarische und musikalische »(Über-)lieferketten« sind und wie mannigfach produktiv die Missverständnisse fortwirken. Zur Prominenz gelangt die »chinesische Melodie« nämlich in Carl Maria von Webers Bühnenmusik zu Friedrich Schillers Turandot. Der Titel Turandot ist heute vor allem durch Giacomo Puccinis gleichnamige Oper bekannt, die als ein Musterbeispiel für das von Edward Said beschrieben Prinzip der »Orientalisierung des Orients« durch den Okzident angesehen werden kann: Die beiden weiblichen Hauptfiguren Turandot und Liu sind stereotypische Beispiele für die »Dragon Lady« und den »Butterfly«, das furchteinflößende, bedrohliche »Andere« auf der einen und die devote, zur Selbstaufopferung bereite, gehorsame Passive auf der anderen Seite. In dem Maße, wie Turandot sämtliche damals herrschenden Vorurteile gegenüber Asiat:innen auf sich vereint, erscheint Calaf, die männliche Hauptfigur der Oper, als die Verkörperung sämtlicher westlicher »Prinzipien«. Doch nicht Puccinis – bereits in der Oper Madame Butterfly manifester – klischeebeladener Orientalismus soll steht hier zur Debatte. (Auch wenn es interessant wäre, an anderer Stelle der Frage nachzugehen, wie Tonalitäts- und Exotismusdiskurs einander berühren: Dienen die exotischen Transgressionen Puccini doch als Vorwand für harmonische Exzesse, die ihn – zum ersten und einzigen Mal – an den Rand der Tonalität führen.) Zunächst soll die Stoffgeschichte nachvollzogen werden, die zu Tausendundein Tag führt, einer Erzählsammlung, die der französische Orientalist François Pétis de la Croix zwischen 1710 und 1712 veröffentlichte. Sein Versuch, an den Erfolg der 1704 in Frankreich erschienen Geschichten aus Tausendundeiner Nacht anzuschließen, war ihm nicht wie gewünscht vergönnt und bis auf die »Tochter von Turan«, was Turandot im Persischen bedeutet, sind die meisten Erzählungen heute dem Gedächtnis entrissen.
Carlo Gozzi, der italienische Dichter der Commedia dell’Arte, bearbeitete Turandot für das venezianische Teatro San Samuele. Friedrich Schiller lieferte die Fassung für Goethes Weimarer Bühne, wo Turandot als eine Art Rätselshow aufgeführt wurde: Turandots Rätsel für Kalif (wie er bei Schiller heißt) wurden für jede Aufführung neu geschrieben, um das Publikum zu animieren, die Inszenierung mehrfach zu besuchen. Als Carl Maria von Weber, damals Sekretär in Diensten des Herzogs Ludwig von Stuttgart, den Auftrag erhielt, eine Bühnenmusik zu Schillers Stück zu schreiben, ging er in die wohl ausgestattete Hofbibliothek, wo er auf Rousseaus »air chinois« stieß. Sie wurde zum Hauptmotiv seiner Ouvertüre und die simplistische Instrumentierung mit Flöten und Trommeln sollte bestimmt den Anstrich der Authentizität unterstützen. Webers Ansatz, einem romantischen Theaterstück mit exotischem Setting in wissenschaftlicher Beflissenheit ein »originales« Dekorum zu geben scheint noch aller Ehren wert, zumal er keinen Versuch unternimmt, das Thema gegenüber der Quelle zu verändern: Er stellt es aus, als ein Objet trouvé. Das unterscheidet ihn wiederum von Paul Hindemith, der diese Melodie in seinen Sinfonischen Metamorphosen nach allen Regeln des Tonsatzes durch den Wolf dreht. Hindemith steigert zunächst den Exotismusfaktor der Melodie durch die Alterierung von drei Tonstufen: Er verbiegt sie, schrägt sie an. Auf die Exposition des Themas über einem flirrenden Streicherteppich lässt er für einen Moment nichts als Schlaginstrumente sprechen – einen Kniff, den er sich auch für das Ende des Satzes aufhebt: Nach einer kraftmeierischen Fuge bleibt nichts als der »zeitlose«, archaische Hintergrund der Schlaginstrumente übrig. Eine Relativierung des »eigenen Standpunktes«? Wohl kaum. Präsentieren sich doch die vorangehenden sieben Minuten weitgehend als ein Triumph der Kompositionstechnik über das Material. Selbst mit »schrägen Tönen« kann dieser Meister Fugen schreiben! Vollends scheint eine Verballhornung des Themas im Big Band Sound die Position zu reklamieren: Mit solcher Technik lässt sich die gesamte Welt beherrschen!
Wohl wahr: Im Jahr 1943 mögen Anspielungen an Big Band-Klänge für einen in Deutschland mit Aufführungsverbot belegten Komponisten eine andere Bedeutung gehabt haben als für einen Hörer aus des Jahres 2020. Frappierend bleibt jedoch die hegemoniale Geste, mit der hier Stile und Kulturen vereinnahmt werden. Dabei hätte Hindemith durchaus Gelegenheit gehabt, sein interkulturelles Verständnis auszubauen. 1932 nahm er in Kairo am ersten Kongress für arabische Musik teil. Ein Kongress, der zu einem Katalysator wurde nicht nur der Erforschung der arabischen Musikkulturen, sondern auch zu ihrer zukünftigen Entwicklung. Zu Hindemiths Peer Group zählte neben den deutschen Musikforschern Erich von Hornbostel, Curt Sachs, Wilhelm Heinitz und Johannes Wolf vor allem Bela Bartók. Bartók und Hindemith nutzten die Gelegenheit zur Erkundung der Pyramiden und anderer archäologischer Stätten offenbar so weidlich, dass es Stimmen gab, die forderten, dass ihnen die Spesen für die Anreise zum Kongress nicht erstattet werden sollten.
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OUTERNATIONAL wird kuratiert von Elisa Erkelenz und ist ein Kooperationsprojekt von PODIUM Esslingen und VAN Magazin im Rahmen des Fellowship-Programms #bebeethoven anlässlich des Beethoven-Jubiläums 2020 – maßgeblich gefördert von der Kulturstiftung des Bundes sowie dem Land Baden-Württemberg, der Baden-Württemberg Stiftung und der L-Bank.
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