»Geräusche sind Berührungen«, sagt der Performer und Wissenschaftler meLê yamomo im Rahmen seiner Performance Echoing Europe – postcolonial reverberations im Ballhaus Naunynstraße. »Das Trommelfell wird von Schallwellen getroffen, wenn wir hören.« Doch wo ist die Grenze zwischen Musik und Geräusch? Und wer entscheidet darüber, ob das, was wir hören, Musik ist? Ein Gespräch über den Sound von Kolonialismus – und einen möglichen Umgang mit Aufnahmen in Berliner Archiven.
Text Elisa Erkelenz
Fotos & Video © Zé de Paiva
yamomos Soundperformance im Ballhaus Naunynstrasse ist eine vielschichtige Überlagerung verschiedener Zeiten und Bewertungssysteme. Der Saal des Ballhauses ist für die Performance »Echoing Europe« wie eine Ausstellung organisiert, einzelne Objekte akustischer Kolonialerinnerung sind im Raum aufgebaut – Grammophone, Tonspuren, Videos aus der Kolonialzeit in Südostasien. Sie erinnern an Soundobjekte als koloniale Trophäen, wie sie in vielen Museen ausgestellt werden, doch werden sie hier wieder animiert, geben Laute von sich. Das Publikum setzt sich nach einiger Zeit hin und wartet. »Einige halten das nicht aus, sie fangen an zu husten und sich mitzuteilen.« Auch um diese Beobachtungen geht es yamomo, für den die künstlerische Praxis eine wichtige Seite seiner musikwissenschaftlichen Forschung darstellt. Was im Laufe des Abends deutlich wird: Im ersten Schritt zu einer postkolonialen Perspektive geht es darum, eigene Bewertungsmuster zu hinterfragen. Dinge zu verlernen – auch das Hören. yamomo weiß: Wir stehen ganz am Anfang.
Kannst du einen kurzen Einblick in deine aktuelle Forschung geben?
Gerne – doch kann ich gar nicht von meiner Forschung erzählen, ohne die unzähligen Umwege zu erwähnen, die mein Weg für mich bereithielt. Ursprünglich wollte ich meine Promotion über die Oper in Südostasien im 19. Jahrhundert schreiben. Ich stieg tief ein in postkoloniale Diskurse – und wurde auf dem Weg so unglücklich, dass ich schließlich nach Jahren der Forschung aufhören musste. Ich dachte mir: Ich schreibe über die europäische Oper in Südostasien. Was mache ich da eigentlich? Wenn ich den Weg weitergehe, schreibe ich eine Fußnote zur europäischen Operngeschichte. Ich wollte nicht, dass das mein Beitrag zur akademischen Welt wird. Ich habe dann drei Monate Pause gemacht und bin durch eine existenzielle Krise gegangen.
Heute bist du Professor für Sound Studies in Amsterdam. Wie kamst du aus der Krise zur Forschung zurück?
Was mich immer mehr interessiert hat, ist, die Perspektive zu wechseln, den Blick vom kolonialen Bewertungssystem abzuwenden und herauszufinden, was die Menschen in Südostasien Ende des 19. Jahrhunderts gehört haben. Auch die sozialen Prozesse des Hörens zu verstehen. Das waren eben primär nicht Beethoven und Mozart, wie ich es bis heute auf vielen Konferenzen höre, auf denen ihre globale Wirkmacht beschworen wird. Der Titel meiner Arbeit war dann »Sounding Modernities« – und ich gehe unter anderem der Frage nach, inwiefern das Hören als solches eine Quelle des Wissens ist. Ich nenne das Steven Feld folgend »acoustemology«, eine akustische Epistemologie oder Erkenntnistheorie. Die akademische Forschung basiert auf dem Lesen und dem Schreiben, was nichtschriflichtliche Kulturen diskriminiert. Ich versuche, vom Hören auszugehen. Es ist eine andere Denkweise.
Heißt das Feld, auf dem du dich akademisch bewegst, dann eigentlich Musikwissenschaft oder Musikethnologie?
Ja, ist das nicht eine hochspannende Grenze? (lacht) Wenn du Beethoven und Wagner studieren willst, studierst du Musikwissenschaft, alle anderen werden zur Ethnologie degradiert. Die ganze Disziplin ist nicht auf Augenhöhe. Meine Forschung wollte ich daher außerhalb dieser Kategorien denken. Hinzu kommt, dass uns die Disziplin ein Wahrnehmungsraster mitgibt, das für viele Musiken nicht funktioniert, die vor allem einer sozialen Praxis entspringen. In diesem Raster können sie nur verlieren. Die Musikwissenschaft ist ein koloniales System. Der Kanon, aber auch Biografien, mit denen sie arbeitet, sind verbunden mit politischer und ökonomischer Macht. Wer zu diesem Kanon hinzugefügt wird und wer nicht – das ist eine gewaltvolle Geschichte. Gewaltvoll, denn es gab immer auch »die anderen«. Wenn dann gesagt wird: »Oh, wir haben diesen nichteuropäischen Komponisten in den Kanon aufgenommen«, geht es oft einzig und allein darum, sich als Disziplin Musikwissenschaft auf den Rücken zu klopfen.
Siehst du in deinem akustisch-epistemologischen Ansatz einen neuen Zugriff auf die postkoloniale Debatte?
Das berührt eines meiner größten Probleme: Meine Art zu arbeiten ist sehr reaktiv. Das Wort »postkolonial« trägt »kolonial« in seiner Mitte. Methodisch gesehen arbeite ich in einem existierenden kolonialen System. Was auch immer ich in der akademischen Welt ausdrücken will, ist eine Reaktion innerhalb dieser Machtstruktur. Nehmen wir die Aufnahmen vom Ende des 19. Jahrhunderts in Südostasien, mit denen ich auch in meiner Recherche arbeite: Jede Aufnahme hat ihren eigenen, kolonialen Hintergrund. Sie heute anzuhören bedeutet, dass wir sie einordnen können und den Kontext kennen müssen. Dieses Bewusstsein fehlt oftmals.
In der eurozentristischen Forschung gibt es einen sehr positivistischen Blick auf die Migration von Sound: Die Aufnahme aus Indonesien kam nach Europa und nach Amerika, diese und jene DJs können damit arbeiten – wie toll! Was ich aber in meiner Performance ausdrücken will: Was die Aufnahmetechnik ermöglicht hat, ist die globale Migration von Sound, doch die Körper, von denen sie genommen wurden, spielen keine Rolle. Bis heute: Sie haben keine Visa, sie haben keine Möglichkeit zu reisen. Das ist die globale Vernetzung, in der wir leben. Das berührt auch eine Diskussion über Technologien: Die Archive, von denen wir ausgehen, entspringen einer Aufnahme-Technologie. Diese stützt ein bestimmtes System, funktionalisiert, um zu missionieren, zu sammeln und auszustellen – ohne den Kontext mitzuliefern, oftmals um zu degradieren. Doch es gibt auch andere Arten von Archiven: Ich denke derzeit zum Beispiel viel über den Körper als Archiv nach. Das ist auch Teil der Performance hier im Ballhaus. Ich möchte gern darüber in einen Austausch kommen, was ein Archiv auch sein und bedeuten kann.
»Das Wort »postkolonial« trägt »kolonial« in seiner Mitte.
Aber bei all den Schwierigkeiten zurück zu deiner Frage: Ja, ich sehe im akustisch-epistemologischen Ansatz einen Zugriff! Als jemand, der selbst aus einem postkolonialen Kontext kommt – ich wurde auf den Philippinen geboren und bin seit 11 Jahren in Europa – reflektiere ich die postkoloniale Position als eine sehr kraftvolle, um das Globale zu verstehen, und wo wir gerade stehen. Das Bildungssystem in den ehemals kolonisierten Ländern ist eurozentristisch – das heißt, wir wachsen mit beiden Perspektiven auf. Mit zwei Denkweisen. Das ist ein Werkzeug, das ich im Prozess des Verstehens verwende: Ich kann oftmals mehrere Schichten offenlegen. Die akademische Welt hat ihre Probleme damit.
Du arbeitest in deiner Performance mit den beiden großen Sound-Archiven in Berlin, dem »Lautarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin« und dem »Berliner Phonogramm-Archiv«. Es findet ja im Vergleich zur Debatte über die Rückgabe von Kunstwerken nur ein leiser Diskurs über die akustischen Objekte statt. Was wäre aus deiner Sicht ein gutes Vorgehen von Seiten der Archive?
Die banalste Antwort ist: Zugang! Und das auf globaler Ebene, das heißt ohne Zensur, ohne Privilegierung bestimmter Gruppen. Dazu meine Erfahrung: Um Zugang zum Berliner Phonogramm-Archiv zu bekommen, für das ich ein Recherchestipendium hatte, habe ich vier Jahre gebraucht. Ich habe Emails geschrieben, angerufen, bin hingegangen, alles hat damals nicht funktioniert. Ich habe schon überlegt, meine Arbeit, die ich im Rahmen des Stipendiums schreiben musste, umzubenennen in: »How I did not enter the archive«. Inzwischen scheint sich aber etwas verändert zu haben - zumindest gelang es jetzt, mit Unterstützung des Forums Transregionale Studien und des Ballhaus Naunynstraße, Zugang zu erhalten.
Wie ist es mit dem Lautarchiv?
Da waren sie netter und haben mir gleich geantwortet. Aber es bleiben andere Hürden: Archiviert wird auf Deutsch, das heißt, wenn jemand der von den Philippinen kommt und die deutsche Schreibweise für sein Land nicht kennt, findet er sicher nicht, was er sucht. Ich meine also Zugang auf einer breiten, nicht ausgrenzenden Ebene. Dazu gehört auch, zu kommunizieren, dass es die Archive gibt, so dass zum Beispiel auch Studierende auf den Philippinen, woher manche Aufnahmen stammen, davon erfahren.
Wie wäre es, wenn die Aufnahmen digitalisiert auch online zur Verfügung gestellt werden würden?
Das ist eine komplexe Frage – zum Teil sind es sehr sensible Aufnahmen, die unter gewaltvollen Umständen aufgenommen wurden. Es würde die Rechte der Betroffenen noch weiter verletzten, sie einfach zu verbreiten. Auch die Auswahl ist ein Prozess von Aneigung gewesen: Die Kolonisateure haben bewertet, was Musik ist und was nicht. Und so ist es ja bisweilen bis heute: Über musikalische Qualität wird – etwas pauschal gesagt – im Westen entschieden. Dennoch wäre ein digitaler Zugang zum Teil der richtige Weg – sofern man den richtigen Kontext mitliefert. Diese Arbeit muss getan werden. Das berührt noch einen anderen Punkt: Bislang schreiben vor allem Europäer über die Archive – Narrative werden fortgeführt. Ein breiterer Zugang sollte auch zur Folge haben, Stimmen aus den Regionen nicht weiter zu zensieren, sondern sie im zweiten Schritt vielleicht sogar als Bereicherung zu begreifen. ¶
»Geräusche sind Berührungen«, sagt der Performer und Wissenschaftler meLê yamomo im Rahmen seiner Performance Echoing Europe – postcolonial reverberations im Ballhaus Naunynstraße. »Das Trommelfell wird von Schallwellen getroffen, wenn wir hören.« Doch wo ist die Grenze zwischen Musik und Geräusch? Und wer entscheidet darüber, ob das, was wir hören, Musik ist? Ein Gespräch über den Sound von Kolonialismus – und einen möglichen Umgang mit Aufnahmen in Berliner Archiven.
Text Elisa Erkelenz
Fotos & Video © Zé de Paiva
yamomos Soundperformance im Ballhaus Naunynstrasse ist eine vielschichtige Überlagerung verschiedener Zeiten und Bewertungssysteme. Der Saal des Ballhauses ist für die Performance »Echoing Europe« wie eine Ausstellung organisiert, einzelne Objekte akustischer Kolonialerinnerung sind im Raum aufgebaut – Grammophone, Tonspuren, Videos aus der Kolonialzeit in Südostasien. Sie erinnern an Soundobjekte als koloniale Trophäen, wie sie in vielen Museen ausgestellt werden, doch werden sie hier wieder animiert, geben Laute von sich. Das Publikum setzt sich nach einiger Zeit hin und wartet. »Einige halten das nicht aus, sie fangen an zu husten und sich mitzuteilen.« Auch um diese Beobachtungen geht es yamomo, für den die künstlerische Praxis eine wichtige Seite seiner musikwissenschaftlichen Forschung darstellt. Was im Laufe des Abends deutlich wird: Im ersten Schritt zu einer postkolonialen Perspektive geht es darum, eigene Bewertungsmuster zu hinterfragen. Dinge zu verlernen – auch das Hören. yamomo weiß: Wir stehen ganz am Anfang.
Kannst du einen kurzen Einblick in deine aktuelle Forschung geben?
Gerne – doch kann ich gar nicht von meiner Forschung erzählen, ohne die unzähligen Umwege zu erwähnen, die mein Weg für mich bereithielt. Ursprünglich wollte ich meine Promotion über die Oper in Südostasien im 19. Jahrhundert schreiben. Ich stieg tief ein in postkoloniale Diskurse – und wurde auf dem Weg so unglücklich, dass ich schließlich nach Jahren der Forschung aufhören musste. Ich dachte mir: Ich schreibe über die europäische Oper in Südostasien. Was mache ich da eigentlich? Wenn ich den Weg weitergehe, schreibe ich eine Fußnote zur europäischen Operngeschichte. Ich wollte nicht, dass das mein Beitrag zur akademischen Welt wird. Ich habe dann drei Monate Pause gemacht und bin durch eine existenzielle Krise gegangen.
Heute bist du Professor für Sound Studies in Amsterdam. Wie kamst du aus der Krise zur Forschung zurück?
Was mich immer mehr interessiert hat, ist, die Perspektive zu wechseln, den Blick vom kolonialen Bewertungssystem abzuwenden und herauszufinden, was die Menschen in Südostasien Ende des 19. Jahrhunderts gehört haben. Auch die sozialen Prozesse des Hörens zu verstehen. Das waren eben primär nicht Beethoven und Mozart, wie ich es bis heute auf vielen Konferenzen höre, auf denen ihre globale Wirkmacht beschworen wird. Der Titel meiner Arbeit war dann »Sounding Modernities« – und ich gehe unter anderem der Frage nach, inwiefern das Hören als solches eine Quelle des Wissens ist. Ich nenne das Steven Feld folgend »acoustemology«, eine akustische Epistemologie oder Erkenntnistheorie. Die akademische Forschung basiert auf dem Lesen und dem Schreiben, was nichtschriflichtliche Kulturen diskriminiert. Ich versuche, vom Hören auszugehen. Es ist eine andere Denkweise.
Heißt das Feld, auf dem du dich akademisch bewegst, dann eigentlich Musikwissenschaft oder Musikethnologie?
Ja, ist das nicht eine hochspannende Grenze? (lacht) Wenn du Beethoven und Wagner studieren willst, studierst du Musikwissenschaft, alle anderen werden zur Ethnologie degradiert. Die ganze Disziplin ist nicht auf Augenhöhe. Meine Forschung wollte ich daher außerhalb dieser Kategorien denken. Hinzu kommt, dass uns die Disziplin ein Wahrnehmungsraster mitgibt, das für viele Musiken nicht funktioniert, die vor allem einer sozialen Praxis entspringen. In diesem Raster können sie nur verlieren. Die Musikwissenschaft ist ein koloniales System. Der Kanon, aber auch Biografien, mit denen sie arbeitet, sind verbunden mit politischer und ökonomischer Macht. Wer zu diesem Kanon hinzugefügt wird und wer nicht – das ist eine gewaltvolle Geschichte. Gewaltvoll, denn es gab immer auch »die anderen«. Wenn dann gesagt wird: »Oh, wir haben diesen nichteuropäischen Komponisten in den Kanon aufgenommen«, geht es oft einzig und allein darum, sich als Disziplin Musikwissenschaft auf den Rücken zu klopfen.
Siehst du in deinem akustisch-epistemologischen Ansatz einen neuen Zugriff auf die postkoloniale Debatte?
Das berührt eines meiner größten Probleme: Meine Art zu arbeiten ist sehr reaktiv. Das Wort »postkolonial« trägt »kolonial« in seiner Mitte. Methodisch gesehen arbeite ich in einem existierenden kolonialen System. Was auch immer ich in der akademischen Welt ausdrücken will, ist eine Reaktion innerhalb dieser Machtstruktur. Nehmen wir die Aufnahmen vom Ende des 19. Jahrhunderts in Südostasien, mit denen ich auch in meiner Recherche arbeite: Jede Aufnahme hat ihren eigenen, kolonialen Hintergrund. Sie heute anzuhören bedeutet, dass wir sie einordnen können und den Kontext kennen müssen. Dieses Bewusstsein fehlt oftmals.
In der eurozentristischen Forschung gibt es einen sehr positivistischen Blick auf die Migration von Sound: Die Aufnahme aus Indonesien kam nach Europa und nach Amerika, diese und jene DJs können damit arbeiten – wie toll! Was ich aber in meiner Performance ausdrücken will: Was die Aufnahmetechnik ermöglicht hat, ist die globale Migration von Sound, doch die Körper, von denen sie genommen wurden, spielen keine Rolle. Bis heute: Sie haben keine Visa, sie haben keine Möglichkeit zu reisen. Das ist die globale Vernetzung, in der wir leben. Das berührt auch eine Diskussion über Technologien: Die Archive, von denen wir ausgehen, entspringen einer Aufnahme-Technologie. Diese stützt ein bestimmtes System, funktionalisiert, um zu missionieren, zu sammeln und auszustellen – ohne den Kontext mitzuliefern, oftmals um zu degradieren. Doch es gibt auch andere Arten von Archiven: Ich denke derzeit zum Beispiel viel über den Körper als Archiv nach. Das ist auch Teil der Performance hier im Ballhaus. Ich möchte gern darüber in einen Austausch kommen, was ein Archiv auch sein und bedeuten kann.
Aber bei all den Schwierigkeiten zurück zu deiner Frage: Ja, ich sehe im akustisch-epistemologischen Ansatz einen Zugriff! Als jemand, der selbst aus einem postkolonialen Kontext kommt – ich wurde auf den Philippinen geboren und bin seit 11 Jahren in Europa – reflektiere ich die postkoloniale Position als eine sehr kraftvolle, um das Globale zu verstehen, und wo wir gerade stehen. Das Bildungssystem in den ehemals kolonisierten Ländern ist eurozentristisch – das heißt, wir wachsen mit beiden Perspektiven auf. Mit zwei Denkweisen. Das ist ein Werkzeug, das ich im Prozess des Verstehens verwende: Ich kann oftmals mehrere Schichten offenlegen. Die akademische Welt hat ihre Probleme damit.
Du arbeitest in deiner Performance mit den beiden großen Sound-Archiven in Berlin, dem »Lautarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin« und dem »Berliner Phonogramm-Archiv«. Es findet ja im Vergleich zur Debatte über die Rückgabe von Kunstwerken nur ein leiser Diskurs über die akustischen Objekte statt. Was wäre aus deiner Sicht ein gutes Vorgehen von Seiten der Archive?
Die banalste Antwort ist: Zugang! Und das auf globaler Ebene, das heißt ohne Zensur, ohne Privilegierung bestimmter Gruppen. Dazu meine Erfahrung: Um Zugang zum Berliner Phonogramm-Archiv zu bekommen, für das ich ein Recherchestipendium hatte, habe ich vier Jahre gebraucht. Ich habe Emails geschrieben, angerufen, bin hingegangen, alles hat damals nicht funktioniert. Ich habe schon überlegt, meine Arbeit, die ich im Rahmen des Stipendiums schreiben musste, umzubenennen in: »How I did not enter the archive«. Inzwischen scheint sich aber etwas verändert zu haben - zumindest gelang es jetzt, mit Unterstützung des Forums Transregionale Studien und des Ballhaus Naunynstraße, Zugang zu erhalten.
Wie ist es mit dem Lautarchiv?
Da waren sie netter und haben mir gleich geantwortet. Aber es bleiben andere Hürden: Archiviert wird auf Deutsch, das heißt, wenn jemand der von den Philippinen kommt und die deutsche Schreibweise für sein Land nicht kennt, findet er sicher nicht, was er sucht. Ich meine also Zugang auf einer breiten, nicht ausgrenzenden Ebene. Dazu gehört auch, zu kommunizieren, dass es die Archive gibt, so dass zum Beispiel auch Studierende auf den Philippinen, woher manche Aufnahmen stammen, davon erfahren.
Wie wäre es, wenn die Aufnahmen digitalisiert auch online zur Verfügung gestellt werden würden?
Das ist eine komplexe Frage – zum Teil sind es sehr sensible Aufnahmen, die unter gewaltvollen Umständen aufgenommen wurden. Es würde die Rechte der Betroffenen noch weiter verletzten, sie einfach zu verbreiten. Auch die Auswahl ist ein Prozess von Aneigung gewesen: Die Kolonisateure haben bewertet, was Musik ist und was nicht. Und so ist es ja bisweilen bis heute: Über musikalische Qualität wird – etwas pauschal gesagt – im Westen entschieden. Dennoch wäre ein digitaler Zugang zum Teil der richtige Weg – sofern man den richtigen Kontext mitliefert. Diese Arbeit muss getan werden. Das berührt noch einen anderen Punkt: Bislang schreiben vor allem Europäer über die Archive – Narrative werden fortgeführt. Ein breiterer Zugang sollte auch zur Folge haben, Stimmen aus den Regionen nicht weiter zu zensieren, sondern sie im zweiten Schritt vielleicht sogar als Bereicherung zu begreifen. ¶
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OUTERNATIONAL wird kuratiert von Elisa Erkelenz und ist ein Kooperationsprojekt von PODIUM Esslingen und VAN Magazin im Rahmen des Fellowship-Programms #bebeethoven anlässlich des Beethoven-Jubiläums 2020 – maßgeblich gefördert von der Kulturstiftung des Bundes sowie dem Land Baden-Württemberg, der Baden-Württemberg Stiftung und der L-Bank.
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