Text Kristoffer Cornils
Fotos Arnaud Ele
Die Sängerin Mariana Sadovska arbeitet derzeit unermüdlich daran, der ukrainischen Bevölkerung Hilfe zukommen zu lassen, so auch mit einem Solidaritätskonzert am 23. März in der Akademie der Künste am Hanseatenweg. Im Interview spricht sie über praktische Solidarität in der Krise und die Funktion der Kunst in Kriegszeiten.
Die Ukraine hat viele Stimmen und eine der eindringlichsten gehört Mariana Sadovska. Seit gut drei Jahrzehnten arbeitet die Sängerin an immer neuen Konstellationen von traditionellen Formen, Jazz, zeitgenössischer Musik und weiteren Möglichkeiten des musikalischen Ausdrucks. Auch den mittlerweile seit acht Jahren andauernden Krieg in ihrem Herkunftsland hat die in Köln lebende Musikerin künstlerisch und aktivistisch begleitet.
Seit Ende Februar setzt sich Sadovska für Aufklärung und kulturelle Aufarbeitung der russischen Invasion in die Ukraine ein. Am 23. März stellt sie deshalb in Berlin im Rahmen eines von Outernational und der Allianz Kulturstiftung in Kooperation mit der Akademie der Künste und field notes/initiative neue musik e.V. organisierten Solidaritätskonzerts das Projekt »Songs of Wounding« vor. Die Eintrittserlöse des Konzerts gehen vollständig an Ukraine-Hilfe Berlin e.V. und n-ost.
Im Interview mit Kristoffer Cornils spricht Mariana Sadovska vorab über Möglichkeiten der Hilfeleistung, praktische Solidarität in der Krise und die Funktion der Kunst in Kriegszeiten.
Woran arbeitest du aktuell?
Seit Beginn des Krieges liegt meine Priorität auf der Verteidigung der Ukraine. In den ersten Tagen habe ich einen Aufruf an meine Freud*innen in aller Welt gestartet und innerhalb kürzester Zeit unfassbar viel Unterstützung erhalten. Ich habe über private Kanäle 60.000 Euro gesammelt, von denen wir Schutzwesten, Nachtsichtgeräte und Drohnen gekauft haben. All diese Sachen sind schon in der Ukraine, so schnell und unbürokratisch haben wir agiert. Es muss klar sein, dass die ukrainische Armee genauso wie die Zivilgesellschaft auch unsere Freiheit und Demokratie verteidigen. Das tun Menschen wie mein Bruder und sehr viele Künstler*innen, die sich als Teil der Territorialen Verteidigung gegen die größte Armee der Welt stellen. Mittlerweile habe ich verstanden, dass ich zur jetzigen Zeit Öffentlichkeitsarbeit machen kann, um die Menschen zu erreichen. Ich gebe sehr viele Interviews wie dieses hier. Und ich organisiere und nehme an Veranstaltungen teil, wo über all das direkt gesprochen werden kann, oftmals auch mit Live-Schalten zu ukrainischen Künstler*innen.
Du hast schon vor dem 24. Februar viele Konzerte und ähnliche Veranstaltungen organisiert. Welchen Mehrwert siehst Du darin, über das bloße Sammeln von Geld hinaus?
Für die Menschen in der Ukraine ist es wichtig zu wissen, dass sie nicht allein sind und dass viele Leute zur Unterstützung und Hilfe bereit sind. Ich kann dabei vor allem über Künstler*innen sprechen, aber ich kenne viele Menschen aus belagerten Städten – Mariupol, Cherson, Charkiw. Sie können nicht ausreisen, weil die Evakuierung durch den Beschuss durch russische Truppen verhindert wird. Doch obwohl sie sich in einem Keller verschanzen, können sie im Schauspielhaus Köln per Live-Schalte etwas über ihre Situation erzählen. Das ist für uns schwer zu ertragen, weil es bedrückend ist, setzt aber in psychischer, geistiger Hinsicht ein wichtiges Zeichen. Bezüglich der Geldspenden: Jede Schutzweste kann in der Ukraine ein Leben retten. Jedes Nachtsichtgerät hilft, Leben zu retten. Ich arbeite unter anderem mit Blau-Gelbes Kreuz Deutsch-Ukrainischer Verein e.V. zusammen, der seit acht Jahren Kinderkrankenhäuser und Waisenhäuser unterstützt und gerade Unfassbares, Unmögliches leistet. Davon geht alles so unbürokratisch wie möglich in die Hände der Bedürftigen.
Sind dir die derzeitigen Hilfeleistungen noch zu bürokratisch?
Ich beobachte hier in Köln, wie schnell die Stadt es ermöglicht hat, dass die hier ankommenden Menschen angemessen aufgenommen werden. Ich sehe die Solidarität aus dem künstlerischen Bereich – vom Thalia Theater, vom Schauspielhaus Köln, gerade organisieren wir auch drei Konzerte in Hellerau – und das ist fantastisch. Es passiert schon sehr viel. Ich wünsche mir aber, dass die Bundesregierung schneller und klarer agiert, statt nur zu reagieren. Wir Ukrainer*innen fordern es auf allen Wegen und auch ich verlange das bei jedem Konzert und in jedem Interview: Bitte schließt den Himmel über der Ukraine und verhängt eine Flugverbotszone! Jeder weitere Tag, jede weitere Verzögerung kostet Menschenleben. Der Raketenbeschuss von Kernkraftwerken bringt auch uns hierzulande in Gefahr.
Du hast ebenfalls den Begriff der Solidarität ins Spiel gebracht. Insbesondere in der Kulturbranche fragen sich sicherlich viele, wie diese in der derzeitigen Situation praktisch werden kann. Wozu würdest du raten?
Organisiert Konzerte! Es werden viele Musiker*innen – wahrscheinlich vor allem Frauen – als Geflüchtete nach Deutschland kommen. Reicht ihnen die Hand, gebt ihnen eine Plattform, bringt sie zusammen! Schon morgen [8. März, d. Red.] wird eine Sängerin aus Donezk mit mir in Bonn auftreten, Yuliya Kulinenko, die gerade als Geflüchtete angekommen ist. Diese Menschen brauchen nicht nur Geld, sondern auch Möglichkeiten, weiterhin Kunst zu machen. Heute Morgen habe ich mitbekommen, wie viele Sänger*innen aktuell Kyjiw verteidigen. Ich wünsche mir, dass, wenn das alles vorbei ist und wenn das Licht über die Dunkelheit gesiegt hat, Deutschland von ukrainischen Künstler*innen zum Klingen gebracht wird. Natürlich helfen aber auch die Spenden, das lässt sich nicht oft genug sagen. Aktuell braucht es vor allem Medikamente für die Verwundeten. Dazu kommt humanitäre Hilfe für Geflüchtete und die Städte, die seit Tagen ohne Wasser und Heizung sind, sowie – und ich bitte darum, vor diesem Wort keine Angst zu haben – Verteidigung. Wenn wir uns verteidigen können, werden wir weniger Verwundete und Waisenkinder haben. In Deutschland wird darauf zögerlich reagiert, aber es geht nicht um die Armee – sondern um Menschen wie meinen Bruder, der nie Soldat war und zwei kleine Kinder hat, die er verteidigen will. Ich werde alles dafür tun, dass er eine Schutzweste und einen Helm hat. Dafür, dass er zurückkommt.
Kann oder sollte Kunst denn den Kriegszustand, den die ukrainische Bevölkerung eigentlich bereits seit dem Jahr 2014 durchlebt, reflektieren und kommentieren?
Absolut. In den letzten acht Jahren sind in der Ukraine viele dramatische, literarische, filmische und musikalische Werke entstanden, die der Auseinandersetzung mit und der Reflexion über die Bedeutung der Freiheit gewidmet sind. Wann müssen wir unsere Freiheit verteidigen? Was bedeutet Krieg? Kann Kunst überhaupt unpolitisch sein? Welche Haltung sollen wir einnehmen? Das alles passiert schon jetzt und ich finde es unfassbar wichtig. Als ich im Jahr 2014 direkt nach der Annexion der Krim mit Schauspieler*innen aus Lwiw in Mariupol war und in kleinen und großen Orten auf kleinen und großen Bühnen stand, haben wir für die Menschen gesungen und Gedichte vorgelesen – für Frauen und Männer, Omas und Opas, für Kinder, für Soldat*innen. Damals habe ich zum ersten Mal in meinem Leben gespürt, wie Kunst wirkt. Als reale Heilung. Es sind nicht einfach nur Worte. Kunst gibt Kraft, umarmt die Seele. Ich bewundere die in Deutschland lebenden ukrainischen und auch deutschen Musiker*innen wie beispielsweise das Kollektiv um das Outernational Projekt »Songs of Wounding« herum sehr dafür, wie viel sie gerade tun. Wie viele Konzerte spontan organisiert werden, ist unfassbar! Ich nenne das unser musikalisches Bataillon. Wir erreichen Menschen hier vor Ort, senden aber auch ein Signal der Stärke an diejenigen in der Ukraine, die gerade diesen Horror durchleben oder sogar an der Front stehen.
Von »realer Heilung« sprichst du einerseits, von dem Outernational Projekt »Songs of Wounding«, für die der Komponist Max Andrzejewski von Dir gesammelte Lieder vertont hat, andererseits. Dieses werdet ihr auch am 23. März vorstellen. Wie passt ausgerechnet dieses Stück in diese Zeit?
Ich stehe schon lange auf der Bühne und singe Klagelieder, die emotional sehr aufgeladen sind, oder Kompositionen auf Grundlage von Gedichten ukrainischer Schriftsteller*innen aus den letzten Jahren, die den Krieg thematisieren. Ich frage mich natürlich auch: Wie lässt sich das singen? Ist es richtig, das zu tun? Ich beschäftige mich sehr viel mit traditioneller und ritualisierter Musik. Wenn man Klagelieder singt, so ist eine Funktion, den Schmerz herauszulassen und zu überwinden. Aber, das habe ich über griechische Klagelieder gelesen, es gibt noch eine weitere: Mit der Stimme das Gegenteil zu bewirken. Indem etwas Schreckliches wie ein Bannspruch, eine Beschwörung besungen wird, auf dass das Besungene eben nicht eintritt. Auch in der traditionellen ukrainischen Musik gibt es Wiegenlieder, die wirklich schrecklich sind. Von Ethnomusikolog*innen habe ich gelernt, dass auch sie gesungen werden, damit das genaue Gegenteil eintritt. Das gibt mir jetzt Kraft. Wenn ich singe, dann glaube ich an diese Funktion solcher Lieder. Das gilt auch für die Lieder im Outernational Programm »Songs of Wounding«. Darunter sind Lieder, mit denen der Schmerz ausgetrieben wird. Aber zugleich wird Schmerz von der Schwäche ins Kraftvolle gewendet. Sie geben den Sänger*innen Kraft, aber auch denjenigen, für die gesungen wird.
Die Beschäftigung mit folkloristischen oder ritualisierten Formen zeichnet dein Werk weit über die zurückliegenden acht Jahre hinaus aus. Welches Potenzial siehst du in der Auseinandersetzung mit ukrainischen Gesangstraditionen?
Es war mir schon immer ein Anliegen, dass ich traditionelle Lieder niemals einfach nur nachsingen möchte. Es kam mir von Anfang an unpassend vor, diese Stücke genauso zu singen, wie es in den jeweiligen Dörfern getan wird. Denn ich komme nicht von dort. Ich habe aber auf meinen ethnografischen Reisen gelernt, dass jede*r Sänger*in diese Lieder verändert, und wie sie dadurch immer persönlicher werden. In manchen Fällen ließ sich sogar der Änderungsprozess transparent nachvollziehen. Das habe ich mir selbst als Motto gesetzt: Ich muss diese Lieder nicht originalgetreu nachahmen, sondern sie anders singen und zu etwas Persönlichem machen. Dadurch entsteht neues Leben. Ich arbeite mit Musiker*innen aus dem Jazz, dem Bereich der zeitgenössischen Musik oder der freien Improvisation, und natürlich verändern sich diese Lieder dadurch stark, weil wir ihnen ein neues Leben geben. Das finde ich notwendig, denn so entstehen unfassbar schöne neue Formen.
Was wünschst du dir für die nähere Zukunft?
Dass bald der Sieg kommt. Dass Putin vor Gericht steht. Dass der Horror schnell vorbei ist. Ich weiß, es klingt pathetisch, aber: Ich stelle mir ein großes Fest wie aus einem Märchen vor – der Sieg von Licht, Liebe, Freiheit und Demokratie über Dunkelheit, Hass, Tod und Diktatur. Wir werden alle singen, Gedichte lesen, Theater spielen. Ich hoffe, der Weg dahin wird nicht zu viele Leben kosten, wie es das gerade jeder Tag in der Ukraine tut.
Mehr Informationen zu dem Solidaritätskonzert »Songs of Wounding« am 23. März in der Akademie der Künste am Hanseatenweg mit unter anderem Mariana Sadovska finden Sie hier.
Der Text ist entstanden in Kooperation mit field notes/initiative neue musik e.V..
Text Kristoffer Cornils
Fotos Arnaud Ele
Die Sängerin Mariana Sadovska arbeitet derzeit unermüdlich daran, der ukrainischen Bevölkerung Hilfe zukommen zu lassen, so auch mit einem Solidaritätskonzert am 23. März in der Akademie der Künste am Hanseatenweg. Im Interview spricht sie über praktische Solidarität in der Krise und die Funktion der Kunst in Kriegszeiten.
Die Ukraine hat viele Stimmen und eine der eindringlichsten gehört Mariana Sadovska. Seit gut drei Jahrzehnten arbeitet die Sängerin an immer neuen Konstellationen von traditionellen Formen, Jazz, zeitgenössischer Musik und weiteren Möglichkeiten des musikalischen Ausdrucks. Auch den mittlerweile seit acht Jahren andauernden Krieg in ihrem Herkunftsland hat die in Köln lebende Musikerin künstlerisch und aktivistisch begleitet.
Seit Ende Februar setzt sich Sadovska für Aufklärung und kulturelle Aufarbeitung der russischen Invasion in die Ukraine ein. Am 23. März stellt sie deshalb in Berlin im Rahmen eines von Outernational und der Allianz Kulturstiftung in Kooperation mit der Akademie der Künste und field notes/initiative neue musik e.V. organisierten Solidaritätskonzerts das Projekt »Songs of Wounding« vor. Die Eintrittserlöse des Konzerts gehen vollständig an Ukraine-Hilfe Berlin e.V. und n-ost.
Im Interview mit Kristoffer Cornils spricht Mariana Sadovska vorab über Möglichkeiten der Hilfeleistung, praktische Solidarität in der Krise und die Funktion der Kunst in Kriegszeiten.
Woran arbeitest du aktuell?
Seit Beginn des Krieges liegt meine Priorität auf der Verteidigung der Ukraine. In den ersten Tagen habe ich einen Aufruf an meine Freud*innen in aller Welt gestartet und innerhalb kürzester Zeit unfassbar viel Unterstützung erhalten. Ich habe über private Kanäle 60.000 Euro gesammelt, von denen wir Schutzwesten, Nachtsichtgeräte und Drohnen gekauft haben. All diese Sachen sind schon in der Ukraine, so schnell und unbürokratisch haben wir agiert. Es muss klar sein, dass die ukrainische Armee genauso wie die Zivilgesellschaft auch unsere Freiheit und Demokratie verteidigen. Das tun Menschen wie mein Bruder und sehr viele Künstler*innen, die sich als Teil der Territorialen Verteidigung gegen die größte Armee der Welt stellen. Mittlerweile habe ich verstanden, dass ich zur jetzigen Zeit Öffentlichkeitsarbeit machen kann, um die Menschen zu erreichen. Ich gebe sehr viele Interviews wie dieses hier. Und ich organisiere und nehme an Veranstaltungen teil, wo über all das direkt gesprochen werden kann, oftmals auch mit Live-Schalten zu ukrainischen Künstler*innen.
Du hast schon vor dem 24. Februar viele Konzerte und ähnliche Veranstaltungen organisiert. Welchen Mehrwert siehst Du darin, über das bloße Sammeln von Geld hinaus?
Für die Menschen in der Ukraine ist es wichtig zu wissen, dass sie nicht allein sind und dass viele Leute zur Unterstützung und Hilfe bereit sind. Ich kann dabei vor allem über Künstler*innen sprechen, aber ich kenne viele Menschen aus belagerten Städten – Mariupol, Cherson, Charkiw. Sie können nicht ausreisen, weil die Evakuierung durch den Beschuss durch russische Truppen verhindert wird. Doch obwohl sie sich in einem Keller verschanzen, können sie im Schauspielhaus Köln per Live-Schalte etwas über ihre Situation erzählen. Das ist für uns schwer zu ertragen, weil es bedrückend ist, setzt aber in psychischer, geistiger Hinsicht ein wichtiges Zeichen. Bezüglich der Geldspenden: Jede Schutzweste kann in der Ukraine ein Leben retten. Jedes Nachtsichtgerät hilft, Leben zu retten. Ich arbeite unter anderem mit Blau-Gelbes Kreuz Deutsch-Ukrainischer Verein e.V. zusammen, der seit acht Jahren Kinderkrankenhäuser und Waisenhäuser unterstützt und gerade Unfassbares, Unmögliches leistet. Davon geht alles so unbürokratisch wie möglich in die Hände der Bedürftigen.
Sind dir die derzeitigen Hilfeleistungen noch zu bürokratisch?
Ich beobachte hier in Köln, wie schnell die Stadt es ermöglicht hat, dass die hier ankommenden Menschen angemessen aufgenommen werden. Ich sehe die Solidarität aus dem künstlerischen Bereich – vom Thalia Theater, vom Schauspielhaus Köln, gerade organisieren wir auch drei Konzerte in Hellerau – und das ist fantastisch. Es passiert schon sehr viel. Ich wünsche mir aber, dass die Bundesregierung schneller und klarer agiert, statt nur zu reagieren. Wir Ukrainer*innen fordern es auf allen Wegen und auch ich verlange das bei jedem Konzert und in jedem Interview: Bitte schließt den Himmel über der Ukraine und verhängt eine Flugverbotszone! Jeder weitere Tag, jede weitere Verzögerung kostet Menschenleben. Der Raketenbeschuss von Kernkraftwerken bringt auch uns hierzulande in Gefahr.
Du hast ebenfalls den Begriff der Solidarität ins Spiel gebracht. Insbesondere in der Kulturbranche fragen sich sicherlich viele, wie diese in der derzeitigen Situation praktisch werden kann. Wozu würdest du raten?
Organisiert Konzerte! Es werden viele Musiker*innen – wahrscheinlich vor allem Frauen – als Geflüchtete nach Deutschland kommen. Reicht ihnen die Hand, gebt ihnen eine Plattform, bringt sie zusammen! Schon morgen [8. März, d. Red.] wird eine Sängerin aus Donezk mit mir in Bonn auftreten, Yuliya Kulinenko, die gerade als Geflüchtete angekommen ist. Diese Menschen brauchen nicht nur Geld, sondern auch Möglichkeiten, weiterhin Kunst zu machen. Heute Morgen habe ich mitbekommen, wie viele Sänger*innen aktuell Kyjiw verteidigen. Ich wünsche mir, dass, wenn das alles vorbei ist und wenn das Licht über die Dunkelheit gesiegt hat, Deutschland von ukrainischen Künstler*innen zum Klingen gebracht wird. Natürlich helfen aber auch die Spenden, das lässt sich nicht oft genug sagen. Aktuell braucht es vor allem Medikamente für die Verwundeten. Dazu kommt humanitäre Hilfe für Geflüchtete und die Städte, die seit Tagen ohne Wasser und Heizung sind, sowie – und ich bitte darum, vor diesem Wort keine Angst zu haben – Verteidigung. Wenn wir uns verteidigen können, werden wir weniger Verwundete und Waisenkinder haben. In Deutschland wird darauf zögerlich reagiert, aber es geht nicht um die Armee – sondern um Menschen wie meinen Bruder, der nie Soldat war und zwei kleine Kinder hat, die er verteidigen will. Ich werde alles dafür tun, dass er eine Schutzweste und einen Helm hat. Dafür, dass er zurückkommt.
Kann oder sollte Kunst denn den Kriegszustand, den die ukrainische Bevölkerung eigentlich bereits seit dem Jahr 2014 durchlebt, reflektieren und kommentieren?
Absolut. In den letzten acht Jahren sind in der Ukraine viele dramatische, literarische, filmische und musikalische Werke entstanden, die der Auseinandersetzung mit und der Reflexion über die Bedeutung der Freiheit gewidmet sind. Wann müssen wir unsere Freiheit verteidigen? Was bedeutet Krieg? Kann Kunst überhaupt unpolitisch sein? Welche Haltung sollen wir einnehmen? Das alles passiert schon jetzt und ich finde es unfassbar wichtig. Als ich im Jahr 2014 direkt nach der Annexion der Krim mit Schauspieler*innen aus Lwiw in Mariupol war und in kleinen und großen Orten auf kleinen und großen Bühnen stand, haben wir für die Menschen gesungen und Gedichte vorgelesen – für Frauen und Männer, Omas und Opas, für Kinder, für Soldat*innen. Damals habe ich zum ersten Mal in meinem Leben gespürt, wie Kunst wirkt. Als reale Heilung. Es sind nicht einfach nur Worte. Kunst gibt Kraft, umarmt die Seele. Ich bewundere die in Deutschland lebenden ukrainischen und auch deutschen Musiker*innen wie beispielsweise das Kollektiv um das Outernational Projekt »Songs of Wounding« herum sehr dafür, wie viel sie gerade tun. Wie viele Konzerte spontan organisiert werden, ist unfassbar! Ich nenne das unser musikalisches Bataillon. Wir erreichen Menschen hier vor Ort, senden aber auch ein Signal der Stärke an diejenigen in der Ukraine, die gerade diesen Horror durchleben oder sogar an der Front stehen.
Von »realer Heilung« sprichst du einerseits, von dem Outernational Projekt »Songs of Wounding«, für die der Komponist Max Andrzejewski von Dir gesammelte Lieder vertont hat, andererseits. Dieses werdet ihr auch am 23. März vorstellen. Wie passt ausgerechnet dieses Stück in diese Zeit?
Ich stehe schon lange auf der Bühne und singe Klagelieder, die emotional sehr aufgeladen sind, oder Kompositionen auf Grundlage von Gedichten ukrainischer Schriftsteller*innen aus den letzten Jahren, die den Krieg thematisieren. Ich frage mich natürlich auch: Wie lässt sich das singen? Ist es richtig, das zu tun? Ich beschäftige mich sehr viel mit traditioneller und ritualisierter Musik. Wenn man Klagelieder singt, so ist eine Funktion, den Schmerz herauszulassen und zu überwinden. Aber, das habe ich über griechische Klagelieder gelesen, es gibt noch eine weitere: Mit der Stimme das Gegenteil zu bewirken. Indem etwas Schreckliches wie ein Bannspruch, eine Beschwörung besungen wird, auf dass das Besungene eben nicht eintritt. Auch in der traditionellen ukrainischen Musik gibt es Wiegenlieder, die wirklich schrecklich sind. Von Ethnomusikolog*innen habe ich gelernt, dass auch sie gesungen werden, damit das genaue Gegenteil eintritt. Das gibt mir jetzt Kraft. Wenn ich singe, dann glaube ich an diese Funktion solcher Lieder. Das gilt auch für die Lieder im Outernational Programm »Songs of Wounding«. Darunter sind Lieder, mit denen der Schmerz ausgetrieben wird. Aber zugleich wird Schmerz von der Schwäche ins Kraftvolle gewendet. Sie geben den Sänger*innen Kraft, aber auch denjenigen, für die gesungen wird.
Die Beschäftigung mit folkloristischen oder ritualisierten Formen zeichnet dein Werk weit über die zurückliegenden acht Jahre hinaus aus. Welches Potenzial siehst du in der Auseinandersetzung mit ukrainischen Gesangstraditionen?
Es war mir schon immer ein Anliegen, dass ich traditionelle Lieder niemals einfach nur nachsingen möchte. Es kam mir von Anfang an unpassend vor, diese Stücke genauso zu singen, wie es in den jeweiligen Dörfern getan wird. Denn ich komme nicht von dort. Ich habe aber auf meinen ethnografischen Reisen gelernt, dass jede*r Sänger*in diese Lieder verändert, und wie sie dadurch immer persönlicher werden. In manchen Fällen ließ sich sogar der Änderungsprozess transparent nachvollziehen. Das habe ich mir selbst als Motto gesetzt: Ich muss diese Lieder nicht originalgetreu nachahmen, sondern sie anders singen und zu etwas Persönlichem machen. Dadurch entsteht neues Leben. Ich arbeite mit Musiker*innen aus dem Jazz, dem Bereich der zeitgenössischen Musik oder der freien Improvisation, und natürlich verändern sich diese Lieder dadurch stark, weil wir ihnen ein neues Leben geben. Das finde ich notwendig, denn so entstehen unfassbar schöne neue Formen.
Was wünschst du dir für die nähere Zukunft?
Dass bald der Sieg kommt. Dass Putin vor Gericht steht. Dass der Horror schnell vorbei ist. Ich weiß, es klingt pathetisch, aber: Ich stelle mir ein großes Fest wie aus einem Märchen vor – der Sieg von Licht, Liebe, Freiheit und Demokratie über Dunkelheit, Hass, Tod und Diktatur. Wir werden alle singen, Gedichte lesen, Theater spielen. Ich hoffe, der Weg dahin wird nicht zu viele Leben kosten, wie es das gerade jeder Tag in der Ukraine tut.
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