Text Elisa Erkelenz
Fotos Arnaud Ele
Im Vorfeld unserer ersten Begegnung zum Gespräch bei Taner Akyol im Frühjahr hast Du Dich zweifach vergewissert, ob Du nicht nur gefragt wirst, weil Du aus der Türkei kommst …
Ja, ich bin in den letzten Jahren regelrecht paranoid geworden. Es gab diverse Interviews oder Anfragen für Interviews von Journalist*innen von arte bis zu Deutschen Welle, in denen ich als Opfer und Sprecher der vor Erdogan geflohenen Künstler angefragt wurde. Ich bin freiwillig gegangen und darf auch noch in die Türkei einreisen, Konzerte dort spielen wie zum Beispiel im November mit meinem Trio The Liz im Borusan Music House in Istanbul. Das mit jenen zu vergleichen, die Angst haben vor Gefängnis oder umgebracht zu werden, ist den wirklichen Opfern gegenüber unfair. Genau das wird aber gerne gemacht. Den meisten, die fragen, ist dann egal, ob Du Triangel spielst oder Controller.
In einem Deiner Solo-Projekte, »üçgen-dörtgen« (triangle-rectangle), bringst Du beides zusammen - Zufall?
Ja (lacht). Das war 2013 im MAK Wien. Das Stück verbindet Triangel Samples und Synthesizer-Drums. Es ist ein Werk, das eigentlich nur live funktioniert, in resonanten Räumen, quadrofonisch mikrofoniert. Dazu inspiriert hat mich ein Stück von Alvin Lucier in Boston: »Silver Steetcar for the Orchestra«, ein Stück für Triangel. Ich trete heute mit meinen elektronischen Instrumenten immer öfter auch in Solo-Konzerten auf, in installativen Situationen. Ich improvisiere, mit gefundenen Klängen, Field recordings, die ich dann live morphe, aber auch mit Strukturen.
Wie sieht Dein Instrumentarium dann genau aus?
Das meiste spiele ich interaktiv auf Nintendo Wii Controllern, iPad und Octatrack sowie auf Midi Controllern. Bis 2017 habe ich ein Computer-Instrument »Omnibus« gespielt, seither arbeite ich für experimentelle Konzerte an einem neuen Setup. Mein Instrument-Design ist noch lange nicht fertig, wahrscheinlich nie. Das ist auch eine Frage, die mich schon länger auf einer abstrakteren Ebene umtreibt: Ich spiele ein Instrument, das keines ist.
In Istanbul hast Du die Band Islak Köpek (»nasser Hund«) mitbegründet, die für die dortige »free improvisation«-Szene ein Wendepunkt wurde…
Das war Anfang der 2005 zusammen mit meinem Freund Şevket Akıncı, mit dem ich damals viel zusammen experimentiert und recherchiert habe. Wir waren nicht die ersten oder besten freien Improvisatoren in der Türkei. Aber wir waren die erste Gruppe, die wirklich an der Gründung einer Szene gearbeitet hat.
Wie seid ihr da herangegangen?
Wir organisierten zahlreiche Konzerte auch für andere Musiker*innen, »Improv Nights« an den unterschiedlichsten Orten - vom Theater zum Club - und auf einmal waren wir mitten drin in einer sehr kleinen, aber umtriebigen Szene. Drei Mitglieder von Islak Köpek haben bis zu diesem Jahr außerdem auch eine Radiosendung auf Açık Radyo names »Öteki Caz« (»der andere Jazz«) gemacht. Insgesamt ist unglaublich viel Energie geflossen. Es gibt in Istanbul kaum Publikum für zeitgenössische Musik und als Künstler kannst Du nicht im Entferntesten damit Geld verdienen. Natürlich ist die Szene heute sehr klein verglichen mit Städten wie Berlin oder New York, aber auch nicht kleiner als in Hamburg oder München, und nach wie vor sehr interessant. Dazu gehört auch zum Beispiel das Kollektiv Art is Dead, mit denen ich heute auch noch öfter spiele, wenn ich dort bin.
Du bist auch auf der »Anthology of Turkish Experimental Music from 1961–2014«, vertreten. Empfiehlst Du diesen Überblick zum Eintauchen?
Ja, aber ich finde das Projekt auch eine etwas seltsame Geschichte. Die Anthologie war eine Idee von zwei Musikern aus Istanbul: Erdem Helvacıoğlu und Batur Sönmez. Als sie uns damals kontaktiert hatten, hieß das Projekt noch »The Turkish Electronic Music Compilation«, es sollte also vor allem um elektronisch produzierte Tracks gehen. Letztlich sind zwei sehr bekannte und einflussreiche Musiker der zeitgenössischen Musik dazugekommen - İlhan Mimaroğlu and Bülent Arel - aber es bleibt einen riesiger Gap zwischen ihren Arbeiten in den 60ern, und Produzenten, die in den 2000ern aktiv wurden. Vieles aus der experimentellen nicht-elektronischen Musik ist gar nicht im Ansatz abgedeckt. Aber ich mag die Platte trotzdem, sie hält der Kritik stand und alle Tracks sind gut und sie ist mit großer musikalischer und politischer Freiheit kuratiert.
Der Track »I want to be a suicide bomber« von SIFIR zum Beispiel ist recht explizit politisch. Läuft die experimentelle Musikszene etwas unter AKP-Radar?
Dass die Meinungsfreiheit in der Türkei damals wie heute kaum vorhanden ist, macht selbst vor der unbekannteren experimentellen Musik nicht Halt. Viele Künstler waren ja Teil der Gezi-Proteste, einige sind inhaftiert, viele andere haben Depressionen. Aber es gibt sie, die weiterhin produzieren; viele natürlich mittlerweile aus dem Ausland. Mir hat der Umzug nach Berlin als Künstler unheimlich viel gebracht. Ich konnte viel produktiver werden. Jetzt versuche ich anderen in Istanbul, die kommen wollen, zu helfen, ein Künstlervisum zu beantragen.
Hier bist Du neben Deinen diversen Duos und Soloprojekten inzwischen auch Teil des Trickster Orchestras, das sich mit Klangsprachen verschiedener Musiktraditionen auseinandersetzt.
Ja, wenn mir vor fünf Jahren jemand erzählt hätte, ich würde in einem Orchester spielen, hätte ich das wohl sehr lustig gefunden. Das hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, dass mein Zugang zur Musik kein akademischer ist. In mir haben Alltagsklänge von der Toilettenspülung zum Vogelgesang schon immer mehr ausgelöst als vieles andere. Deshalb habe ich wohl auch nie ein klassisches Instrument richtig gelernt. Trickster ist ein Orchester, dessen Besetzung immer wechselt. Musiker verschiedener Musiktraditionen sind dabei, in Echtzeit-Improvisationen entstehen komplett neue Klanglandschaften. Komponiert werden die Stücke dann von Ketan Bhatti und Cymin Samawatie. Im September machen wir ein ziemlich interessantes Projekt mit dem Hezarfen Ensemble und sechs türkischen und deutschen Dichtern in Neukölln, es läuft dann auch in Istanbul. (Divan-Berlin-Istanbul am 21. und 22. September im Heimathafen Neukölln, Anm. d. Red.)
Wie findest Du Deine klangliche Rolle darin?
Mein Part hängt von der Komposition ab, oft verfremde ich Klänge, generiere neue Frequenzen, gehe zum Beispiel mit sehr tiefen Bässen rein. Für mich ist die Elektronik auch ein Weg, Dinge in Frage zu stellen. Für mich ist alles Klang, es ist mir eigentlich egal, ob er aus Zimbabwe, aus der Türkei oder aus Süddeutschland kommt. Was ich mache, hat keine Identität. So funktioniert auch das Orchester.
»Für mich ist alles Klang, es ist mir eigentlich egal, ob er aus Zimbabwe, aus der Türkei oder aus Süddeutschland kommt.«
Der Elektronik-Künstler Korhan Erel im Interview @vanmusik #outernational
Geht dieser Drang bei Dir weiter, wenn es um das Infragestellen von Geschlechter-Rollen geht?
Bis vor fünf-sechs Jahren war ich tatsächlich sehr verwirrt, ob ich eine Frau oder ein Mann bin. Inzwischen weiß ich, ich bin dazwischen. Wenn jemand über mich schreibt, werde ich als transsexueller Künstler aus der Türkei vorgestellt. Ich habe gar nichts gegen solche Zuschreibungen, aber ich denke, sie sind eigentlich nur wichtig, wenn man mit jemandem schlafen will! Im Türkischen gibt es kein er / sie / es, das macht die Sache schon etwas leichter (lacht).
Die Personalpronomen scheinen Dich nicht vorm Eintauchen in die Sprache abgehalten zu haben. Wie hat sich Berlin auf Deine Musik ausgewirkt, außer dass Du produktiver geworden bist?
Die Freiheit, die ich hier suche, gibt es in der Türkei nicht. Sowohl sexuell, als auch musikalisch. Bald spiele ich auf einer riesigen Sex-Party Techno. Ich weiß noch gar nicht wo, der Ort wird noch bekannt gegeben, das reizt mich noch mehr! Das Wichtigste aber ist, dass ich hier als Künstler besser werde, durch all die Leute, mit denen ich spiele und mich weiterentwickeln kann. Ob The Liz, Trickster, oder auch Gunnar Lettow, der Bassist, er ist sehr wichtig für mich.
Was mich allerdings beschäftigt, damit habe ich auch neulich auf einem Panel beim Moers Festival geärgert: Das ist die Kuration bei Festivals vor allem im Jazz aber natürlich auch in der Neuen Musik. Gemacht von alten Männern mit alten Männern für alte Männer! Das ist natürlich nichts Neues, hat mich hier aber doch überrascht - und nur wenige Künstler*innen sprechen es aus, weil sie auch im nächsten Jahr eingeladen werden wollen. Als türkischer Queer-Artist geht es dann eigentlich nur, wenn du was Politisches oder sehr Türkisches machst. Das ist doch langweilig?
Was wünschst Du Dir?
Berühmt zu werden!
Was noch?
Hinhören. Ich wünsche mir, dass wir mal wieder einfach hinhören. Der Rest ergibt sich dann eigentlich von selbst. Das Gleiche gilt ja für die Türken hier. Wenn jemand Baglama spielt, strömen sie wie die Bienen zum Honig. Aber bei Neuer Musik?
Wie war das bei den Nachtigallen?
Toll! Das Projekt mit den Nightingales war Davids Idee. David Rothenberg, er ist Philosoph und Klarinettist. Er arbeitet seit langer Zeit mit Tieren zusammen, auch mit Walen und Käfern. Dann kam er auf die Nachtigall - und wir haben entschieden, nachts im Tiergarten mit ihnen zusammen zu spielen. Er an der Klarinette, ich habe Live-Aufnahmen mit einem iPad gemacht und sie den Vögeln vorgespielt, die uns »geantwortet« haben. Jeder Vogel – es singen fast nur die Männchen – hat seine Art zu singen, manche warten, bis der Vorsänger fertig ist, andere gehen mitten rein. Ziemlich komplex und in Strophen. Das war fantastisch, mitten in der Nacht. Es gibt auch ein Album dazu: Berlin Bülbül. »Bülbül« heißt die Nachtigall auf türkisch, arabisch, hebräisch - und persisch. ¶
»Was ich mache, hat keine Identität.«
Der Elektronik-Künstler Korhan Erel im Interview @vanmusik #outernational
Text Elisa Erkelenz
Fotos Arnaud Ele
Im Vorfeld unserer ersten Begegnung zum Gespräch bei Taner Akyol im Frühjahr hast Du Dich zweifach vergewissert, ob Du nicht nur gefragt wirst, weil Du aus der Türkei kommst …
Ja, ich bin in den letzten Jahren regelrecht paranoid geworden. Es gab diverse Interviews oder Anfragen für Interviews von Journalist*innen von arte bis zu Deutschen Welle, in denen ich als Opfer und Sprecher der vor Erdogan geflohenen Künstler angefragt wurde. Ich bin freiwillig gegangen und darf auch noch in die Türkei einreisen, Konzerte dort spielen wie zum Beispiel im November mit meinem Trio The Liz im Borusan Music House in Istanbul. Das mit jenen zu vergleichen, die Angst haben vor Gefängnis oder umgebracht zu werden, ist den wirklichen Opfern gegenüber unfair. Genau das wird aber gerne gemacht. Den meisten, die fragen, ist dann egal, ob Du Triangel spielst oder Controller.
In einem Deiner Solo-Projekte, »üçgen-dörtgen« (triangle-rectangle), bringst Du beides zusammen - Zufall?
Ja (lacht). Das war 2013 im MAK Wien. Das Stück verbindet Triangel Samples und Synthesizer-Drums. Es ist ein Werk, das eigentlich nur live funktioniert, in resonanten Räumen, quadrofonisch mikrofoniert. Dazu inspiriert hat mich ein Stück von Alvin Lucier in Boston: »Silver Steetcar for the Orchestra«, ein Stück für Triangel. Ich trete heute mit meinen elektronischen Instrumenten immer öfter auch in Solo-Konzerten auf, in installativen Situationen. Ich improvisiere, mit gefundenen Klängen, Field recordings, die ich dann live morphe, aber auch mit Strukturen.
Wie sieht Dein Instrumentarium dann genau aus?
Das meiste spiele ich interaktiv auf Nintendo Wii Controllern, iPad und Octatrack sowie auf Midi Controllern. Bis 2017 habe ich ein Computer-Instrument »Omnibus« gespielt, seither arbeite ich für experimentelle Konzerte an einem neuen Setup. Mein Instrument-Design ist noch lange nicht fertig, wahrscheinlich nie. Das ist auch eine Frage, die mich schon länger auf einer abstrakteren Ebene umtreibt: Ich spiele ein Instrument, das keines ist.
In Istanbul hast Du die Band Islak Köpek (»nasser Hund«) mitbegründet, die für die dortige »free improvisation«-Szene ein Wendepunkt wurde…
Das war Anfang der 2005 zusammen mit meinem Freund Şevket Akıncı, mit dem ich damals viel zusammen experimentiert und recherchiert habe. Wir waren nicht die ersten oder besten freien Improvisatoren in der Türkei. Aber wir waren die erste Gruppe, die wirklich an der Gründung einer Szene gearbeitet hat.
Wie seid ihr da herangegangen?
Wir organisierten zahlreiche Konzerte auch für andere Musiker*innen, »Improv Nights« an den unterschiedlichsten Orten - vom Theater zum Club - und auf einmal waren wir mitten drin in einer sehr kleinen, aber umtriebigen Szene. Drei Mitglieder von Islak Köpek haben bis zu diesem Jahr außerdem auch eine Radiosendung auf Açık Radyo names »Öteki Caz« (»der andere Jazz«) gemacht. Insgesamt ist unglaublich viel Energie geflossen. Es gibt in Istanbul kaum Publikum für zeitgenössische Musik und als Künstler kannst Du nicht im Entferntesten damit Geld verdienen. Natürlich ist die Szene heute sehr klein verglichen mit Städten wie Berlin oder New York, aber auch nicht kleiner als in Hamburg oder München, und nach wie vor sehr interessant. Dazu gehört auch zum Beispiel das Kollektiv Art is Dead, mit denen ich heute auch noch öfter spiele, wenn ich dort bin.
Du bist auch auf der »Anthology of Turkish Experimental Music from 1961–2014«, vertreten. Empfiehlst Du diesen Überblick zum Eintauchen?
Ja, aber ich finde das Projekt auch eine etwas seltsame Geschichte. Die Anthologie war eine Idee von zwei Musikern aus Istanbul: Erdem Helvacıoğlu und Batur Sönmez. Als sie uns damals kontaktiert hatten, hieß das Projekt noch »The Turkish Electronic Music Compilation«, es sollte also vor allem um elektronisch produzierte Tracks gehen. Letztlich sind zwei sehr bekannte und einflussreiche Musiker der zeitgenössischen Musik dazugekommen - İlhan Mimaroğlu and Bülent Arel - aber es bleibt einen riesiger Gap zwischen ihren Arbeiten in den 60ern, und Produzenten, die in den 2000ern aktiv wurden. Vieles aus der experimentellen nicht-elektronischen Musik ist gar nicht im Ansatz abgedeckt. Aber ich mag die Platte trotzdem, sie hält der Kritik stand und alle Tracks sind gut und sie ist mit großer musikalischer und politischer Freiheit kuratiert.
Der Track »I want to be a suicide bomber« von SIFIR zum Beispiel ist recht explizit politisch. Läuft die experimentelle Musikszene etwas unter AKP-Radar?
Dass die Meinungsfreiheit in der Türkei damals wie heute kaum vorhanden ist, macht selbst vor der unbekannteren experimentellen Musik nicht Halt. Viele Künstler waren ja Teil der Gezi-Proteste, einige sind inhaftiert, viele andere haben Depressionen. Aber es gibt sie, die weiterhin produzieren; viele natürlich mittlerweile aus dem Ausland. Mir hat der Umzug nach Berlin als Künstler unheimlich viel gebracht. Ich konnte viel produktiver werden. Jetzt versuche ich anderen in Istanbul, die kommen wollen, zu helfen, ein Künstlervisum zu beantragen.
Hier bist Du neben Deinen diversen Duos und Soloprojekten inzwischen auch Teil des Trickster Orchestras, das sich mit Klangsprachen verschiedener Musiktraditionen auseinandersetzt.
Ja, wenn mir vor fünf Jahren jemand erzählt hätte, ich würde in einem Orchester spielen, hätte ich das wohl sehr lustig gefunden. Das hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, dass mein Zugang zur Musik kein akademischer ist. In mir haben Alltagsklänge von der Toilettenspülung zum Vogelgesang schon immer mehr ausgelöst als vieles andere. Deshalb habe ich wohl auch nie ein klassisches Instrument richtig gelernt. Trickster ist ein Orchester, dessen Besetzung immer wechselt. Musiker verschiedener Musiktraditionen sind dabei, in Echtzeit-Improvisationen entstehen komplett neue Klanglandschaften. Komponiert werden die Stücke dann von Ketan Bhatti und Cymin Samawatie. Im September machen wir ein ziemlich interessantes Projekt mit dem Hezarfen Ensemble und sechs türkischen und deutschen Dichtern in Neukölln, es läuft dann auch in Istanbul. (Divan-Berlin-Istanbul am 21. und 22. September im Heimathafen Neukölln, Anm. d. Red.)
Wie findest Du Deine klangliche Rolle darin?
Mein Part hängt von der Komposition ab, oft verfremde ich Klänge, generiere neue Frequenzen, gehe zum Beispiel mit sehr tiefen Bässen rein. Für mich ist die Elektronik auch ein Weg, Dinge in Frage zu stellen. Für mich ist alles Klang, es ist mir eigentlich egal, ob er aus Zimbabwe, aus der Türkei oder aus Süddeutschland kommt. Was ich mache, hat keine Identität. So funktioniert auch das Orchester.
Geht dieser Drang bei Dir weiter, wenn es um das Infragestellen von Geschlechter-Rollen geht?
Bis vor fünf-sechs Jahren war ich tatsächlich sehr verwirrt, ob ich eine Frau oder ein Mann bin. Inzwischen weiß ich, ich bin dazwischen. Wenn jemand über mich schreibt, werde ich als transsexueller Künstler aus der Türkei vorgestellt. Ich habe gar nichts gegen solche Zuschreibungen, aber ich denke, sie sind eigentlich nur wichtig, wenn man mit jemandem schlafen will! Im Türkischen gibt es kein er / sie / es, das macht die Sache schon etwas leichter (lacht).
Die Personalpronomen scheinen Dich nicht vorm Eintauchen in die Sprache abgehalten zu haben. Wie hat sich Berlin auf Deine Musik ausgewirkt, außer dass Du produktiver geworden bist?
Die Freiheit, die ich hier suche, gibt es in der Türkei nicht. Sowohl sexuell, als auch musikalisch. Bald spiele ich auf einer riesigen Sex-Party Techno. Ich weiß noch gar nicht wo, der Ort wird noch bekannt gegeben, das reizt mich noch mehr! Das Wichtigste aber ist, dass ich hier als Künstler besser werde, durch all die Leute, mit denen ich spiele und mich weiterentwickeln kann. Ob The Liz, Trickster, oder auch Gunnar Lettow, der Bassist, er ist sehr wichtig für mich.
Was mich allerdings beschäftigt, damit habe ich auch neulich auf einem Panel beim Moers Festival geärgert: Das ist die Kuration bei Festivals vor allem im Jazz aber natürlich auch in der Neuen Musik. Gemacht von alten Männern mit alten Männern für alte Männer! Das ist natürlich nichts Neues, hat mich hier aber doch überrascht - und nur wenige Künstler*innen sprechen es aus, weil sie auch im nächsten Jahr eingeladen werden wollen. Als türkischer Queer-Artist geht es dann eigentlich nur, wenn du was Politisches oder sehr Türkisches machst. Das ist doch langweilig?
Was wünschst Du Dir?
Berühmt zu werden!
Was noch?
Hinhören. Ich wünsche mir, dass wir mal wieder einfach hinhören. Der Rest ergibt sich dann eigentlich von selbst. Das Gleiche gilt ja für die Türken hier. Wenn jemand Baglama spielt, strömen sie wie die Bienen zum Honig. Aber bei Neuer Musik?
Wie war das bei den Nachtigallen?
Toll! Das Projekt mit den Nightingales war Davids Idee. David Rothenberg, er ist Philosoph und Klarinettist. Er arbeitet seit langer Zeit mit Tieren zusammen, auch mit Walen und Käfern. Dann kam er auf die Nachtigall - und wir haben entschieden, nachts im Tiergarten mit ihnen zusammen zu spielen. Er an der Klarinette, ich habe Live-Aufnahmen mit einem iPad gemacht und sie den Vögeln vorgespielt, die uns »geantwortet« haben. Jeder Vogel – es singen fast nur die Männchen – hat seine Art zu singen, manche warten, bis der Vorsänger fertig ist, andere gehen mitten rein. Ziemlich komplex und in Strophen. Das war fantastisch, mitten in der Nacht. Es gibt auch ein Album dazu: Berlin Bülbül. »Bülbül« heißt die Nachtigall auf türkisch, arabisch, hebräisch - und persisch. ¶
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