Die Komponistin und Tar-Virtuosin Elshan Ghasimi gehört zu den wenigen Meisterinnen klassischer, persischer Musik weltweit. Vor drei Jahren kam sie aus Teheran nach Berlin. Sie arbeitet genreübergreifend und setzt sich für den Dialog von persischen und europäischen Musiktraditionen ein. Ein Portrait.
Text Jeffrey Arlo Brown
Fotos Arnaud Ele
Jeden Morgen trinkt Elshan Ghasimi einen Tee und liest. Oft sind es persische Gedichte, im Moment das Werk Rumis, auf Persisch Mawlānā, »unser Meister« genannt, der zwischen 1207 und 1273 lebte und ekstatische Liebesverse schrieb. Oder Poesie von Neẓāmī-ye Ganǧawī, einem der wichtigsten Vertreter persischer Literatur. »Das gibt mir jeden Tag etwas, wie Obst essen«, sagt sie.
Für Ghasimi sind Wort und Musik unzertrennlich. In jungen Jahren lesen ihre Eltern ihr zum Zubettgehen aus dem Werk Hafis vor – Texte, mit denen viele im Iran aufwachsen. Später, als Schülerin am Tehran Conservatory of Music, studiert sie neben der Tar persische Literatur und Philosophie. Die Verknüpfung zwischen Musik und Poesie ist auch ein Bestandteil von Ghasimis Alben. In ihrem letzten Album Elies Miniatures I – Ein Garten singender Dinge gibt es einzelne Lieder, die eigentlich Geschichten oder Gedichte sind. El Arbi Bouqdib’s Glasses beschreibt zum Beispiel einen marokkanischen Mathematiker und Mystiker, der sich inmitten einer schwierigen Kalkulation fragt, wo eigentlich seine Brille geblieben ist. Ghasimi spricht motivisch, hebt Wiederholungen vor und steuert die Intonation ihrer Sprechstimme bewusst und präzise. Wenn der Akkord vom nächsten Track erklingt, ist er gleichzeitig der Anfang von etwas Neuem und das natürliche Ende der Geschichte über die Brille. »In der klassischen persischen Musik ist alles mit der Literatur verbunden.«
Die Tar, eine Langhalslaute mit drei stählernen Doppelsaiten, klingt durchgehend rhetorisch. Melodische Zellen werden wiederholt, transponiert, entwickelt, durch Quarten der offenen Seiten unterbrochen. Pausen sind von der Natürlichkeit, die entsteht, wenn Menschen, die einander sehr gut kennen, nicht versuchen, Stille durch Belangloses zu füllen. Auch die Intonation klingt näher am Sprechen als die im Westen gewohnte gleichstufige Temperatur. Mikropolyphonie. Bei dieser Musik muss ich immer wieder an Pfade, Stränge, Seile denken, an ein Spinnen, Spannen oder Verwickeln: Seiten- oder Saitenweise Geschichten.
Ich frage Ghasimi, ob sie je ein Album im Studio aufnehmen würde. »Nein«, antwortet sie, »ich bin gerne unter Leuten – egal was, ich mag die Stimmung.« Husten und Atem sind in Ghasimis Alben Teil der Textur. Manchmal klingt Musik eben besser in schmutziger Stille. Daran denke ich auch, als ich Ghasimis Aufführung nach dem Mythos von Gilgamesh zusammen mit Bozorgmehr Vaziri höre. Ich höre das intime Geräusch von Fingern an Saiten. Ein ähnlich schöner Effekt wie die überflüssige Luft eines Klarinettisten, oder die Stelle in Galina Ustvolskayas Fünfte Klaviersonate, an der das Publikum die Fingergelenke des Pianisten in die Tasten schlagen hören soll. Text lebt, wenn er gesprochen wird. Musik, in der wir den Körper wahrnehmen, hebt ab.
»Und öffne meine Lippe ich,
trinke ich nur Deinen Wein«
Rumi
Ghasimi ist klein und zart und spricht mich in fast jedem Satz mit Vornamen an. Weil sie nicht angeben möchte, übergeht sie die eigenen Leistungen, in dem sie »blah, blah, blah« sagt. Sie wird 1981 in Isfahan mitten im Iran geboren. Danach zieht die Familie nach Tabriz und dann, als sie drei wird, in die Hauptstadt Teheran. Ihr Vater arbeitet im Kunstbereich, erst als Maler später, als Bildrahmer, ihre Mutter ist Modedesignerin. Früh entscheiden sich ihre Eltern, dass Ghasimi Musikerin werden soll. »Mein Vater war ein großer Fan persischer, klassischer Musik«, erzählt sie. »Er hat immer wieder Kassetten und LPs angemacht, und es gab viele Musiker, die uns besucht haben, Freunde meines Vaters. Dann haben sie sich entschieden, mich zur Musik zu führen.«
Ghasimi geht zum Privatunterricht, dann ab ihrem zehnten Lebensjahr zum Konservatorium und zur Universität, lernt bei verschiedenen Meistern wie Mohammad-Reza Lotfi, Dariush Talai oder Hossein Alizadeh. Bereits mit 17 Jahren spielt sie 1998 als jüngstes Ensemblemitglied im persischen Nationalorchester. Danach entscheidet sie sich, in Aserbaidschan weiter zu studieren. Als sie nach Hause zurückkehrt, lehnt sie aber die gewöhnliche Musiker*innenlaufbahn ab. Drei Universitäten bieten ihr einen Lehrauftrag an. Sie sagt allen ab. »Es war mir sehr wichtig, mit Leuten zu arbeiten, die keine Ahnung von der Musik hatten.« Sie leitet Workshops für Laien und Menschen mit Behinderung und sagt, dass der Kontakt mit klassischer persischer Musik – im Gegensatz zu der im Iran als Yellow bezeichneten Popmusik – zum erhöhten »Bewusstsein« der Menschen führt.
2016 verlagert Ghasimi ihren Lebensmittelpunkt nach Berlin und lebt nun in beiden Städten. Ich frage sie, wie sie die Erfahrung des Auswanderns wahrnimmt. »Ich sehe mich nicht als Auswanderin«, antwortet sie. »Natürlich bin ich im Iran geboren und aufgewachsen, aber ich bin weder Iranerin noch Deutsche. Klar beeinflusst mich der Ort, von dem ich komme, und das Umfeld, in dem ich lebe, aber dort, wo ich bin, ist mein zu Hause. Das war es von Anfang an.« Ihr erstes Konzert in Deutschland gibt sie im Salon eines Familienmitglieds vor 50 Menschen. Die Resonanz ist positiv: »Meistens sagen sie, ›Ich schließe meine Augen, fange an zu reisen und folge der Geschichte.‹«
Größeren Vorurteilen gegenüber der klassischen persischen Musik ist Ghasimi in Deutschland ebenso wenig begegnet wie größerem Wissen. Während sie durchaus auf Neugier trifft, muss sie dennoch wie jede*r Musiker*in, die oder der von woanders her in den Westen kommt, einen Weg finden: Zwischen dem flachen Niemandsland von dem, was man früher World Music genannt hat, und einer Gesellschaft, die häufig nicht-westliche klassische Musiktraditionen als exotische Spezifika für Duftkerzenläden abtut. Ghasimi blickt nach vorne, entwickelt Vermittlungsformate wie die Excerpts of the Radīf, in denen sie als Solistin auftritt und Professor*innen für Vorträge einlädt, auch um ein weniger eindimensionales Bild persischer Kultur zu vermitteln, als sie es hier vorfindet.
2016 trifft Ghasimi die Gambistin Christiane Gerhardt bei einer Aufführung. Sie verabreden sich zum Spielen, jede bringt musikalische Ideen mit. Ein, zwei Töne; einen »Boden« legen, auf dem die andere spielen kann; Muster finden, eine Melodie darüber, dann abwechseln. Das Duo heißt Das Auge des Diwans. »Die Improvisations-Sessions waren sehr intim, mit viel Magie«, erzählt Gerhardt über das Spielen mit Ghasimi. »Intim im Sinne eines tief sitzenden Kontakts. Es geht nicht über Verabredung, sondern über Emotion und Konzentration.«
Ghasimi ist an so genannter Fusion – einem Genre, das aus der Mischung verschiedener Stilrichtung entsteht – nicht interessiert. Kunst ist kein Kochen, sondern ein Graben auf dem eigenen kleinen Stück Boden. Man muss sehr lang und tief schaufeln, um etwas Universelles zu finden. Seit Sommer 2019 musiziert sie zusammen mit Romina Lischka, Gambistin und Expertin im klassischen nordindischen Gesang, Dhrupad, und der klassischen arabischen Sängerin Ghalia Benali. Gemeinsam bilden Sie das ›Solistinnen Ensemble‹ ERANOS.
Das Prinzip Eranos gründet dabei in der griechischen Antike und bezeichnet ein Gast- und Freundschaftsmahl, das von den mitgebrachten Gaben der Gäste lebt. So kreuzen die drei Musikerinnen ihre persönlichen und musikalischen Identitäten. Die Premiere wird im April im Berliner Radialsystem stattfinden, dann geht das Trio auf Europatournee. Ich frage Ghasimi, wie das Ensemble überhaupt anfängt, wenn sie miteinander Musik machen. »Zuerst spielt eine von uns solo«, antwortet sie, »zum Beispiel singt Ghalia allein, wir hören ihr zu, dann spiele ich mal mit. Die anderen hören mich, dann spielt Romina. Und dann gibt es einen Moment, in dem ich denke: Hier kann ich etwas machen, zu ihrer Sache eine Brücke bauen oder eine Harmonie mit ihrem Gesang spielen. Wenn ich das Gefühl habe, ich soll meine Phase abschließen, kommt Ghalia wieder.« Sie fügt hinzu: »Es ist definitiv keine Fusion.« Und wird dann präziser: Was sie mit ihren Kolleginnen macht ist keine Fusion im Sinne eines Stils. Es geht darum, dass jede nach ihrer Art eine gemeinsam gewählte Emotion ausdrückt. »Man spielt ein Stück und die Kolleginnen fragen, worum es in diesem Stück geht. ›Was sind die Umstände in diesem Werk?‹ ›Es geht um einen Menschen, der sein Kind verloren hat…‹ Man denkt weiter: Wenn man in der persischen klassischen Musik eine ähnliche Situation beschreiben würde, welche Tonart würde man da verwenden? Man versucht die Situation aufrechtzuerhalten, zu retten, nicht Fusion zu werden, sondern zwei verschiedene Charaktere mit einer Identität zu bleiben.«
Ich habe eine letzte Frage für Ghasimi. Hat sie in Berlin jemanden, dem sie es zutraut, ihre Tar zu reparieren? »Nein«, sagt sie, »dafür muss ich in den Iran fliegen.« ¶
Die Komponistin und Tar-Virtuosin Elshan Ghasimi gehört zu den wenigen Meisterinnen klassischer, persischer Musik weltweit. Vor drei Jahren kam sie aus Teheran nach Berlin. Sie arbeitet genreübergreifend und setzt sich für den Dialog von persischen und europäischen Musiktraditionen ein. Ein Portrait.
Text Jeffrey Arlo Brown
Fotos Arnaud Ele
Jeden Morgen trinkt Elshan Ghasimi einen Tee und liest. Oft sind es persische Gedichte, im Moment das Werk Rumis, auf Persisch Mawlānā, »unser Meister« genannt, der zwischen 1207 und 1273 lebte und ekstatische Liebesverse schrieb. Oder Poesie von Neẓāmī-ye Ganǧawī, einem der wichtigsten Vertreter persischer Literatur. »Das gibt mir jeden Tag etwas, wie Obst essen«, sagt sie.
Für Ghasimi sind Wort und Musik unzertrennlich. In jungen Jahren lesen ihre Eltern ihr zum Zubettgehen aus dem Werk Hafis vor – Texte, mit denen viele im Iran aufwachsen. Später, als Schülerin am Tehran Conservatory of Music, studiert sie neben der Tar persische Literatur und Philosophie. Die Verknüpfung zwischen Musik und Poesie ist auch ein Bestandteil von Ghasimis Alben. In ihrem letzten Album Elies Miniatures I – Ein Garten singender Dinge gibt es einzelne Lieder, die eigentlich Geschichten oder Gedichte sind. El Arbi Bouqdib’s Glasses beschreibt zum Beispiel einen marokkanischen Mathematiker und Mystiker, der sich inmitten einer schwierigen Kalkulation fragt, wo eigentlich seine Brille geblieben ist. Ghasimi spricht motivisch, hebt Wiederholungen vor und steuert die Intonation ihrer Sprechstimme bewusst und präzise. Wenn der Akkord vom nächsten Track erklingt, ist er gleichzeitig der Anfang von etwas Neuem und das natürliche Ende der Geschichte über die Brille. »In der klassischen persischen Musik ist alles mit der Literatur verbunden.«
Die Tar, eine Langhalslaute mit drei stählernen Doppelsaiten, klingt durchgehend rhetorisch. Melodische Zellen werden wiederholt, transponiert, entwickelt, durch Quarten der offenen Seiten unterbrochen. Pausen sind von der Natürlichkeit, die entsteht, wenn Menschen, die einander sehr gut kennen, nicht versuchen, Stille durch Belangloses zu füllen. Auch die Intonation klingt näher am Sprechen als die im Westen gewohnte gleichstufige Temperatur. Mikropolyphonie. Bei dieser Musik muss ich immer wieder an Pfade, Stränge, Seile denken, an ein Spinnen, Spannen oder Verwickeln: Seiten- oder Saitenweise Geschichten.
Ich frage Ghasimi, ob sie je ein Album im Studio aufnehmen würde. »Nein«, antwortet sie, »ich bin gerne unter Leuten – egal was, ich mag die Stimmung.« Husten und Atem sind in Ghasimis Alben Teil der Textur. Manchmal klingt Musik eben besser in schmutziger Stille. Daran denke ich auch, als ich Ghasimis Aufführung nach dem Mythos von Gilgamesh zusammen mit Bozorgmehr Vaziri höre. Ich höre das intime Geräusch von Fingern an Saiten. Ein ähnlich schöner Effekt wie die überflüssige Luft eines Klarinettisten, oder die Stelle in Galina Ustvolskayas Fünfte Klaviersonate, an der das Publikum die Fingergelenke des Pianisten in die Tasten schlagen hören soll. Text lebt, wenn er gesprochen wird. Musik, in der wir den Körper wahrnehmen, hebt ab.
»Und öffne meine Lippe ich,
trinke ich nur Deinen Wein«
Rumi
Ghasimi ist klein und zart und spricht mich in fast jedem Satz mit Vornamen an. Weil sie nicht angeben möchte, übergeht sie die eigenen Leistungen, in dem sie »blah, blah, blah« sagt. Sie wird 1981 in Isfahan mitten im Iran geboren. Danach zieht die Familie nach Tabriz und dann, als sie drei wird, in die Hauptstadt Teheran. Ihr Vater arbeitet im Kunstbereich, erst als Maler später, als Bildrahmer, ihre Mutter ist Modedesignerin. Früh entscheiden sich ihre Eltern, dass Ghasimi Musikerin werden soll. »Mein Vater war ein großer Fan persischer, klassischer Musik«, erzählt sie. »Er hat immer wieder Kassetten und LPs angemacht, und es gab viele Musiker, die uns besucht haben, Freunde meines Vaters. Dann haben sie sich entschieden, mich zur Musik zu führen.«
Ghasimi geht zum Privatunterricht, dann ab ihrem zehnten Lebensjahr zum Konservatorium und zur Universität, lernt bei verschiedenen Meistern wie Mohammad-Reza Lotfi, Dariush Talai oder Hossein Alizadeh. Bereits mit 17 Jahren spielt sie 1998 als jüngstes Ensemblemitglied im persischen Nationalorchester. Danach entscheidet sie sich, in Aserbaidschan weiter zu studieren. Als sie nach Hause zurückkehrt, lehnt sie aber die gewöhnliche Musiker*innenlaufbahn ab. Drei Universitäten bieten ihr einen Lehrauftrag an. Sie sagt allen ab. »Es war mir sehr wichtig, mit Leuten zu arbeiten, die keine Ahnung von der Musik hatten.« Sie leitet Workshops für Laien und Menschen mit Behinderung und sagt, dass der Kontakt mit klassischer persischer Musik – im Gegensatz zu der im Iran als Yellow bezeichneten Popmusik – zum erhöhten »Bewusstsein« der Menschen führt.
2016 verlagert Ghasimi ihren Lebensmittelpunkt nach Berlin und lebt nun in beiden Städten. Ich frage sie, wie sie die Erfahrung des Auswanderns wahrnimmt. »Ich sehe mich nicht als Auswanderin«, antwortet sie. »Natürlich bin ich im Iran geboren und aufgewachsen, aber ich bin weder Iranerin noch Deutsche. Klar beeinflusst mich der Ort, von dem ich komme, und das Umfeld, in dem ich lebe, aber dort, wo ich bin, ist mein zu Hause. Das war es von Anfang an.« Ihr erstes Konzert in Deutschland gibt sie im Salon eines Familienmitglieds vor 50 Menschen. Die Resonanz ist positiv: »Meistens sagen sie, ›Ich schließe meine Augen, fange an zu reisen und folge der Geschichte.‹«
Größeren Vorurteilen gegenüber der klassischen persischen Musik ist Ghasimi in Deutschland ebenso wenig begegnet wie größerem Wissen. Während sie durchaus auf Neugier trifft, muss sie dennoch wie jede*r Musiker*in, die oder der von woanders her in den Westen kommt, einen Weg finden: Zwischen dem flachen Niemandsland von dem, was man früher World Music genannt hat, und einer Gesellschaft, die häufig nicht-westliche klassische Musiktraditionen als exotische Spezifika für Duftkerzenläden abtut. Ghasimi blickt nach vorne, entwickelt Vermittlungsformate wie die Excerpts of the Radīf, in denen sie als Solistin auftritt und Professor*innen für Vorträge einlädt, auch um ein weniger eindimensionales Bild persischer Kultur zu vermitteln, als sie es hier vorfindet.
2016 trifft Ghasimi die Gambistin Christiane Gerhardt bei einer Aufführung. Sie verabreden sich zum Spielen, jede bringt musikalische Ideen mit. Ein, zwei Töne; einen »Boden« legen, auf dem die andere spielen kann; Muster finden, eine Melodie darüber, dann abwechseln. Das Duo heißt Das Auge des Diwans. »Die Improvisations-Sessions waren sehr intim, mit viel Magie«, erzählt Gerhardt über das Spielen mit Ghasimi. »Intim im Sinne eines tief sitzenden Kontakts. Es geht nicht über Verabredung, sondern über Emotion und Konzentration.«
Ghasimi ist an so genannter Fusion – einem Genre, das aus der Mischung verschiedener Stilrichtung entsteht – nicht interessiert. Kunst ist kein Kochen, sondern ein Graben auf dem eigenen kleinen Stück Boden. Man muss sehr lang und tief schaufeln, um etwas Universelles zu finden. Seit Sommer 2019 musiziert sie zusammen mit Romina Lischka, Gambistin und Expertin im klassischen nordindischen Gesang, Dhrupad, und der klassischen arabischen Sängerin Ghalia Benali. Gemeinsam bilden Sie das ›Solistinnen Ensemble‹ ERANOS.
Das Prinzip Eranos gründet dabei in der griechischen Antike und bezeichnet ein Gast- und Freundschaftsmahl, das von den mitgebrachten Gaben der Gäste lebt. So kreuzen die drei Musikerinnen ihre persönlichen und musikalischen Identitäten. Die Premiere wird im April im Berliner Radialsystem stattfinden, dann geht das Trio auf Europatournee. Ich frage Ghasimi, wie das Ensemble überhaupt anfängt, wenn sie miteinander Musik machen. »Zuerst spielt eine von uns solo«, antwortet sie, »zum Beispiel singt Ghalia allein, wir hören ihr zu, dann spiele ich mal mit. Die anderen hören mich, dann spielt Romina. Und dann gibt es einen Moment, in dem ich denke: Hier kann ich etwas machen, zu ihrer Sache eine Brücke bauen oder eine Harmonie mit ihrem Gesang spielen. Wenn ich das Gefühl habe, ich soll meine Phase abschließen, kommt Ghalia wieder.« Sie fügt hinzu: »Es ist definitiv keine Fusion.« Und wird dann präziser: Was sie mit ihren Kolleginnen macht ist keine Fusion im Sinne eines Stils. Es geht darum, dass jede nach ihrer Art eine gemeinsam gewählte Emotion ausdrückt. »Man spielt ein Stück und die Kolleginnen fragen, worum es in diesem Stück geht. ›Was sind die Umstände in diesem Werk?‹ ›Es geht um einen Menschen, der sein Kind verloren hat…‹ Man denkt weiter: Wenn man in der persischen klassischen Musik eine ähnliche Situation beschreiben würde, welche Tonart würde man da verwenden? Man versucht die Situation aufrechtzuerhalten, zu retten, nicht Fusion zu werden, sondern zwei verschiedene Charaktere mit einer Identität zu bleiben.«
Ich habe eine letzte Frage für Ghasimi. Hat sie in Berlin jemanden, dem sie es zutraut, ihre Tar zu reparieren? »Nein«, sagt sie, »dafür muss ich in den Iran fliegen.« ¶
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OUTERNATIONAL wird kuratiert von Elisa Erkelenz und ist ein Kooperationsprojekt von PODIUM Esslingen und VAN Magazin im Rahmen des Fellowship-Programms #bebeethoven anlässlich des Beethoven-Jubiläums 2020 – maßgeblich gefördert von der Kulturstiftung des Bundes sowie dem Land Baden-Württemberg, der Baden-Württemberg Stiftung und der L-Bank.
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