Text Kristoffer Cornils
Titelbild © Megan Heilig
Auf Deutsch jemanden begrüßen, auf Englisch nach einem Schlüssel fragen, auf Französisch noch schnell etwas klären und eine Telefonnummer notieren: Kaum im ACUD MACHT NEU angekommen, hat sich Elsa M’Bala schon in drei verschiedenen Sprachen verständigt. Sie wechselt mit derselben Schnelligkeit und Beiläufigkeit von einer zur anderen, mit der sie noch die vier weiteren aufzählt, in denen sie ausdrücken kann: Spanisch, Italienisch sowie Nanga Eboko und Ìtón – zwei der rund 250 Sprachen, die in ihrem Geburtsland Kamerun gesprochen werden.
Das ist beeindruckend, doch haben all diese Sprachen immer auch etwas Limitierendes für sie: »Je mehr Sprachen man spricht, desto deutlicher wird, dass jede Sprache mit einer gewissen Denkweise einhergeht. Das ist immer mit Barrieren verbunden«, sagt sie. Diese Skepsis passt zu einer, deren Klangkunst sich ebenfalls nicht in vorgeformten Strukturen bewegt, sondern sie im Hier und Jetzt entstehen lässt, zwischen verschiedenen Elementen Verbindungslinien schafft und im nächsten Moment schon weiter zieht. Auch wenn sie spricht, schleichen sich immer wieder Idiome und Begriffe aus anderen Sprachen ein – als würde sie deren gesetzte Grenzen unbewusst durchbrechen wollen.
Tatsächlich liest sich auch M’Balas Biografie wie die einer Person, der sich in allzu festen Strukturen schnell fehl am Platz fühlt und immer in Bewegung bleibt. Geboren wird sie Ende der achtziger Jahre in Kamerun, Ende der neunziger Jahre zieht sie mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern nach Eggenstein in der Nähe von Karlsruhe – einen Ort, der ist, wie sein Name klingt: sehr deutsch und zu verschlafen für eine aufgeweckte Teenagerin. »Sehr viele Ackerbauten, freistehende Häuser, lange Fahrtzeiten zwischen den Haltestellen«, beschreibt sie die Umgebung. Was also tut sie? Sie setzt die Kopfhörer auf und streift durch die weiten Landschaften. Das habe sie gerettet, sagt sie heute.
Musik spielt in dieser Zeit eine große Rolle. Die Mutter hört gerne Mariah Carey und Whitney Houston, selten läuft kamerunische Musik von Francis Bebey – »Der war zu verrucht!« – oder Bikutsi von der Band Les Têtes Brulées und der »goldenen Stimme Kameruns«, Anne-Marie Nzié. Ihre Klassenkamerad:innen aus der von ihr besuchten europäischen Schule versorgen sie mit Sounds aus Spanien, Italien, Frankreich und den anglophonen Gebieten. Durch den französischen Einschlag im Schulumfeld lernt sie aber auch die comédie musicale kennen – Musiktheater mit Gesang, Tanzeinlagen und Kostümwechseln. «So stelle ich mir auch meine Musik vor: dass sie etwas begleitet«, mein M’Bala rückblickend. »Viele sagen, dass sie sehr narrativ ist, und sehr visuell – weil ich mich vermutlich daran anlehne.«
Mit dem Ziel, etwas ganz Anderes zu begleiten, beginnt sie schließlich selbst damit, Musik zu machen: Als sie etwa 15 Jahre alt ist, sucht der örtliche Kirchenchor Musiker:innen Verstärkung. M‘Bala möchte den Bass spielen, ein Instrument, das sie bis heute gerne mag. Allein der Chorleiter hat andere Vorstellungen: Es wird doch die Akustikgitarre. Gut zwei Jahre will sich M’Bala nur ungern mit dem Instrument auseinandersetzen – und weiß es dann langsam doch zu schätzen.
Nachdem sie für eine Weile in Spanien gelebt hat, zieht sie zum Studieren nach Münster: Soziale Arbeit. Als Tochter einer alleinerziehenden Mutter von drei Kindern, die in ihrem Heimatland einen Doktortitel innehat und ein Haus besitzt, es in Deutschland aber alsAltenpflegerin arbeitet, weiß sie um den Wert einer sicheren Beschäftigung. »Migrant:innen verlieren ihren Status, und das hat mich sehr belastet. Dem wollte ich aus dem Weg gehen, indem ich etwas Sicheres gewählt habe«, erklärt sie. Als sie dann aber anfängt, in dem Bereich zu arbeiten, ist ihr auch das zu einengend. »Ich mag es nicht, irgendwo zu sein und zu hoffen, dass jemand zu mir kommt, wie das in Jugendzentren der Fall ist.« Sie muss also raus, in die weite Welt.
Es zieht sie zuerst nach Kanada, wo einer ihrer Brüder und ihre Cousinen sich niedergelassen hatten, dann aber – »Es war mir einfach zu kalt!« – weiter nach Jamaika, wo sie bei Akosua Aset unterkommt. Mit der hatte sie noch zu Studienzeiten in Münster das Singer/Songwriter-Projekt »Rising Thoughts« gegründet. In ihren Lyrics verhandeln die beiden Fragen nach dem eigenen Platz in einer globalisierten Welt. »Ihr fehlte genauso wie mir der Bezug nach Hause«, erklärt M’Bala hinsichtlich der Kollegin, die in den USA geboren wurde, aber den Großteil ihres Leben in Deutschland verbrachte. »Das hat uns geeint: Schwarzer Körper, Frausein und das alles in Deutschland – wie bildet man diese Identität aus?«
Wie genau sie es auch anstellen: Sie haben Erfolg. Die Zustimmung, die sie in ihrer kurzen Zeit mit dem gemeinsamen Projekt erhalten, prägt sie bis heute. »Ich wäre heute nicht so komfortabel in meiner Haut, hätte ich nicht diesen Werdegang gehabt und gemerkt: Ich kann als Schwarze Frau meine Meinung sagen, während ich auf der Bühne stehe und dafür sogar Applaus bekommen!«, sagt sie. In Kamerun sei das anders. Denn dorthin zieht es sie schließlich im Jahr 2012. Nachdem sie nach ihrer Rückkehr aus Jamaika nach Deutschland etwas Geld angespart hat, packt sie ihre Sachen in einen Container und reist ihm in die Hauptstadt Yaoundé nach. Der Sonne, aber auch einem neuen Leben in der alten Heimat entgegen.
Der Kontrast ist groß. Hatte für ihre Mutter der Umzug in die andere Richtung noch einen sozialen Abstieg mit sich geführt, gehört sie in Kamerun plötzlich zu den »oberen Schichten«. Sie hat Verbindungen ins Ausland, arbeitet mit westlichen Institutionen zusammen, lässt sich in feine Hotels einladen und singt bei besonderen Anlässen sogar die deutsche Nationalhymne, wie sie mit einem Lachen gesteht. Trotz der wirtschaftlichen und sozialen Differenzen allerdings erlebt sie auch, wie es ist, nicht mehr als anders wahrgenommen und entsprechend behandelt zu werden. »Natürlich sind Kolonialismus und white supremacy immer noch Probleme, aber ich war nicht mehr direkt von Rassismus betroffen – das hat mich unglaublich befreit, auch in kreativer Hinsicht«, erklärt sie. Die Themen, die zuvor noch die Texte von Rising Thoughts geprägt hatten, sie spielen in Yaoundé kaum noch eine Rolle mehr.
Doch wird M’Bala nun von etwas anderem angetrieben: dem »Durst nach Zuhause«, wie sie es nennt. Sie sperrt die Ohren auf und erhört sich den Kosmos der Millionenstadt. Am liebsten im Taxi, das, wie in vielen anderen Metropolen auf dem afrikanischen Kontinent das zentrale Fortbewegungsmittel Yaoundés ist. Dort, sagt sie, entstünden die interessantesten Gespräche. »Man sitzt zusammengepfercht mit Menschen verschiedener Klassen, aus unterschiedlicher Regionen, anderer ethnicities, was sehr wichtig ist – tribalisme ist immer noch ein Ding, hauptsächlich aus kolonialen Gründen. Divide and conquer, das herrscht bis heute vor«, erklärt sie. »Aber im Taxi befindest du dich in einer Art utopischen Welt, in der alle einander alles sagen.« Während die Reisegäste reden, schneidet M’Bala die Gespräche mit. Das markiert den Beginn ihrer Karriere als Klangkünstlerin.
Tatsächlich spielt die Stimme weiterhin eine zentrale Rolle in M’Balas Arbeit. Auch in Die Grenze, das sie im Jahr 2016 unter ihrem Pseudonym AMET – ein Akronym ihres vollständigen Namens – veröffentlicht. Als Teil der Serie viens d'abord verarbeitet M’bala mit Die Grenze die Eindrücke des »Langen Sommers der Migration«. Eine simple Lamellophon-Melodie wird von Aufnahmen von Meeresrauschen begleitet, bis geloopte, fragmentierte Aussagen von Nachrichtensprecher:innen aufbranden. Aussagen wie »der Flüchtlingszustrom reißt nicht ab« kreieren einen scharfen Kontrast zu den beruhigenden Klängen der Wellenbewegungen. Darin äußert sich auch ein Zwiespalt, den M’Bala verspürt. »Alle fliehen nach Europa und einige von ihnen sterben dabei. Ich bin den anderen Weg gegangen«, beschreibt sie. Es habe sie Bescheidenheit gelehrt, beim Blick auf ihren Facebook-Newsfeed ihre eigenen Privilegien vor Augen geführt zu bekommen.
Im Jahr 2017 zieht sie selbst wieder gen Norden. »Berlin ist nicht Deutschland!«, lacht sie. »Hier liegt eine Leichtigkeit in der Luft.« Und hier ist es auch, wo sie ihre Praxis erweitert. Über das Berlin Community Radio beginnt sie ihr Interesse an diesem Format zu schärfen. »Das ist ein Prozess, in dem ich ganz bei mir sein kann – mit anderen, ohne sie direkt bei mir zu haben«, sagt sie über die Aufnahme- und Kommunikationssituation, die sie daran reizt. »I am on my own, but not alone.« Doch teilt sie viel mit dem Publikum. Im Rahmen der Reihe Rhythm Studies für reboot.fm widmet sie sich verschiedenen Musikstilen vom afrikanischen Kontinent, angefangen mit kamerunischem Bikutsi
Rhythm Studies ist ein Rechercheprojekt, durchgeplant und vorab produziert. Eigentlich aber mag M‘Bala es lieber, sich möglichst ungefiltert auszudrücken – vor allem in Live-Situationen. »Mein Aufwachsen als Schwarzes Mädchen in Deutschland war von vielen Kontrollsituationen geprägt. Du darfst das und das nicht zeigen, dieses und jenes nicht sagen. Beaucoup de non-dits, viel Nichtgesagtes. Und das will ich in meiner Praxis aufbrechen, denn wir brauchen das als Menschen.« Kein Wunder, dass die menschliche Stimme, Interview-Schnipsel und Samples ebenso wie ihr eigener Gesang und Rezitation von selbstverfassten Texten ein zentrales Element ihrer Werke darstellen.
Das gilt auch für die Arbeit, der sie zuletzt im Rahmen des Mentorship-Programms Amplify Berlin im ACUD MACHT NEU nachgegangen ist. Gemeinsam mit dem Produzenten Hainbach hat sie dabei als eine von zwei Teilnehmerinnen an neuem Material gearbeitet. Fünf Stücke sind dabei entstanden, wieder in drei Sprachen – und Babysprache, wie sie lachend hinzufügt: Auch ihre zweieinhalbjährige Tochter wird auf dem für Herbst geplanten EP-Release zu hören sein.
Ihr Mentor-auf-Augenhöhe und Ko-Produzent Hainbach habe gesagt, dass das Ergebnis nach »Kindheit im Weltall« klinge, meint M’Bala mit einem Lachen. Das passe, denn wie ein Alien sei sie sich schließlich auch als junge Schwarze in Deutschland vorgekommen. Damit aber hat sie ihren Frieden geschlossen. »Mittlerweile merke ich, dass es kein Nachteil ist, sich so zu fühlen. Es hat nichts mit Verlorensein zu tun, eine andere Perspektive einzunehmen.« Durch ihre Praxis, durch Sound wie durch begleitende Videos und Bildende Kunst will sie ihr Publikum an dieser teilhaben lassen. Wie es eben so ist, wenn jemand angekommen ist – immer in Bewegung, jenseits fixer Strukturen. ¶
Text Kristoffer Cornils
Titelbild © Megan Heilig
Auf Deutsch jemanden begrüßen, auf Englisch nach einem Schlüssel fragen, auf Französisch noch schnell etwas klären und eine Telefonnummer notieren: Kaum im ACUD MACHT NEU angekommen, hat sich Elsa M’Bala schon in drei verschiedenen Sprachen verständigt. Sie wechselt mit derselben Schnelligkeit und Beiläufigkeit von einer zur anderen, mit der sie noch die vier weiteren aufzählt, in denen sie ausdrücken kann: Spanisch, Italienisch sowie Nanga Eboko und Ìtón – zwei der rund 250 Sprachen, die in ihrem Geburtsland Kamerun gesprochen werden.
Das ist beeindruckend, doch haben all diese Sprachen immer auch etwas Limitierendes für sie: »Je mehr Sprachen man spricht, desto deutlicher wird, dass jede Sprache mit einer gewissen Denkweise einhergeht. Das ist immer mit Barrieren verbunden«, sagt sie. Diese Skepsis passt zu einer, deren Klangkunst sich ebenfalls nicht in vorgeformten Strukturen bewegt, sondern sie im Hier und Jetzt entstehen lässt, zwischen verschiedenen Elementen Verbindungslinien schafft und im nächsten Moment schon weiter zieht. Auch wenn sie spricht, schleichen sich immer wieder Idiome und Begriffe aus anderen Sprachen ein – als würde sie deren gesetzte Grenzen unbewusst durchbrechen wollen.
Tatsächlich liest sich auch M’Balas Biografie wie die einer Person, der sich in allzu festen Strukturen schnell fehl am Platz fühlt und immer in Bewegung bleibt. Geboren wird sie Ende der achtziger Jahre in Kamerun, Ende der neunziger Jahre zieht sie mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern nach Eggenstein in der Nähe von Karlsruhe – einen Ort, der ist, wie sein Name klingt: sehr deutsch und zu verschlafen für eine aufgeweckte Teenagerin. »Sehr viele Ackerbauten, freistehende Häuser, lange Fahrtzeiten zwischen den Haltestellen«, beschreibt sie die Umgebung. Was also tut sie? Sie setzt die Kopfhörer auf und streift durch die weiten Landschaften. Das habe sie gerettet, sagt sie heute.
Musik spielt in dieser Zeit eine große Rolle. Die Mutter hört gerne Mariah Carey und Whitney Houston, selten läuft kamerunische Musik von Francis Bebey – »Der war zu verrucht!« – oder Bikutsi von der Band Les Têtes Brulées und der »goldenen Stimme Kameruns«, Anne-Marie Nzié. Ihre Klassenkamerad:innen aus der von ihr besuchten europäischen Schule versorgen sie mit Sounds aus Spanien, Italien, Frankreich und den anglophonen Gebieten. Durch den französischen Einschlag im Schulumfeld lernt sie aber auch die comédie musicale kennen – Musiktheater mit Gesang, Tanzeinlagen und Kostümwechseln. «So stelle ich mir auch meine Musik vor: dass sie etwas begleitet«, mein M’Bala rückblickend. »Viele sagen, dass sie sehr narrativ ist, und sehr visuell – weil ich mich vermutlich daran anlehne.«
Mit dem Ziel, etwas ganz Anderes zu begleiten, beginnt sie schließlich selbst damit, Musik zu machen: Als sie etwa 15 Jahre alt ist, sucht der örtliche Kirchenchor Musiker:innen Verstärkung. M‘Bala möchte den Bass spielen, ein Instrument, das sie bis heute gerne mag. Allein der Chorleiter hat andere Vorstellungen: Es wird doch die Akustikgitarre. Gut zwei Jahre will sich M’Bala nur ungern mit dem Instrument auseinandersetzen – und weiß es dann langsam doch zu schätzen.
Nachdem sie für eine Weile in Spanien gelebt hat, zieht sie zum Studieren nach Münster: Soziale Arbeit. Als Tochter einer alleinerziehenden Mutter von drei Kindern, die in ihrem Heimatland einen Doktortitel innehat und ein Haus besitzt, es in Deutschland aber alsAltenpflegerin arbeitet, weiß sie um den Wert einer sicheren Beschäftigung. »Migrant:innen verlieren ihren Status, und das hat mich sehr belastet. Dem wollte ich aus dem Weg gehen, indem ich etwas Sicheres gewählt habe«, erklärt sie. Als sie dann aber anfängt, in dem Bereich zu arbeiten, ist ihr auch das zu einengend. »Ich mag es nicht, irgendwo zu sein und zu hoffen, dass jemand zu mir kommt, wie das in Jugendzentren der Fall ist.« Sie muss also raus, in die weite Welt.
Es zieht sie zuerst nach Kanada, wo einer ihrer Brüder und ihre Cousinen sich niedergelassen hatten, dann aber – »Es war mir einfach zu kalt!« – weiter nach Jamaika, wo sie bei Akosua Aset unterkommt. Mit der hatte sie noch zu Studienzeiten in Münster das Singer/Songwriter-Projekt »Rising Thoughts« gegründet. In ihren Lyrics verhandeln die beiden Fragen nach dem eigenen Platz in einer globalisierten Welt. »Ihr fehlte genauso wie mir der Bezug nach Hause«, erklärt M’Bala hinsichtlich der Kollegin, die in den USA geboren wurde, aber den Großteil ihres Leben in Deutschland verbrachte. »Das hat uns geeint: Schwarzer Körper, Frausein und das alles in Deutschland – wie bildet man diese Identität aus?«
Wie genau sie es auch anstellen: Sie haben Erfolg. Die Zustimmung, die sie in ihrer kurzen Zeit mit dem gemeinsamen Projekt erhalten, prägt sie bis heute. »Ich wäre heute nicht so komfortabel in meiner Haut, hätte ich nicht diesen Werdegang gehabt und gemerkt: Ich kann als Schwarze Frau meine Meinung sagen, während ich auf der Bühne stehe und dafür sogar Applaus bekommen!«, sagt sie. In Kamerun sei das anders. Denn dorthin zieht es sie schließlich im Jahr 2012. Nachdem sie nach ihrer Rückkehr aus Jamaika nach Deutschland etwas Geld angespart hat, packt sie ihre Sachen in einen Container und reist ihm in die Hauptstadt Yaoundé nach. Der Sonne, aber auch einem neuen Leben in der alten Heimat entgegen.
Der Kontrast ist groß. Hatte für ihre Mutter der Umzug in die andere Richtung noch einen sozialen Abstieg mit sich geführt, gehört sie in Kamerun plötzlich zu den »oberen Schichten«. Sie hat Verbindungen ins Ausland, arbeitet mit westlichen Institutionen zusammen, lässt sich in feine Hotels einladen und singt bei besonderen Anlässen sogar die deutsche Nationalhymne, wie sie mit einem Lachen gesteht. Trotz der wirtschaftlichen und sozialen Differenzen allerdings erlebt sie auch, wie es ist, nicht mehr als anders wahrgenommen und entsprechend behandelt zu werden. »Natürlich sind Kolonialismus und white supremacy immer noch Probleme, aber ich war nicht mehr direkt von Rassismus betroffen – das hat mich unglaublich befreit, auch in kreativer Hinsicht«, erklärt sie. Die Themen, die zuvor noch die Texte von Rising Thoughts geprägt hatten, sie spielen in Yaoundé kaum noch eine Rolle mehr.
Doch wird M’Bala nun von etwas anderem angetrieben: dem »Durst nach Zuhause«, wie sie es nennt. Sie sperrt die Ohren auf und erhört sich den Kosmos der Millionenstadt. Am liebsten im Taxi, das, wie in vielen anderen Metropolen auf dem afrikanischen Kontinent das zentrale Fortbewegungsmittel Yaoundés ist. Dort, sagt sie, entstünden die interessantesten Gespräche. »Man sitzt zusammengepfercht mit Menschen verschiedener Klassen, aus unterschiedlicher Regionen, anderer ethnicities, was sehr wichtig ist – tribalisme ist immer noch ein Ding, hauptsächlich aus kolonialen Gründen. Divide and conquer, das herrscht bis heute vor«, erklärt sie. »Aber im Taxi befindest du dich in einer Art utopischen Welt, in der alle einander alles sagen.« Während die Reisegäste reden, schneidet M’Bala die Gespräche mit. Das markiert den Beginn ihrer Karriere als Klangkünstlerin.
Tatsächlich spielt die Stimme weiterhin eine zentrale Rolle in M’Balas Arbeit. Auch in Die Grenze, das sie im Jahr 2016 unter ihrem Pseudonym AMET – ein Akronym ihres vollständigen Namens – veröffentlicht. Als Teil der Serie viens d'abord verarbeitet M’bala mit Die Grenze die Eindrücke des »Langen Sommers der Migration«. Eine simple Lamellophon-Melodie wird von Aufnahmen von Meeresrauschen begleitet, bis geloopte, fragmentierte Aussagen von Nachrichtensprecher:innen aufbranden. Aussagen wie »der Flüchtlingszustrom reißt nicht ab« kreieren einen scharfen Kontrast zu den beruhigenden Klängen der Wellenbewegungen. Darin äußert sich auch ein Zwiespalt, den M’Bala verspürt. »Alle fliehen nach Europa und einige von ihnen sterben dabei. Ich bin den anderen Weg gegangen«, beschreibt sie. Es habe sie Bescheidenheit gelehrt, beim Blick auf ihren Facebook-Newsfeed ihre eigenen Privilegien vor Augen geführt zu bekommen.
Im Jahr 2017 zieht sie selbst wieder gen Norden. »Berlin ist nicht Deutschland!«, lacht sie. »Hier liegt eine Leichtigkeit in der Luft.« Und hier ist es auch, wo sie ihre Praxis erweitert. Über das Berlin Community Radio beginnt sie ihr Interesse an diesem Format zu schärfen. »Das ist ein Prozess, in dem ich ganz bei mir sein kann – mit anderen, ohne sie direkt bei mir zu haben«, sagt sie über die Aufnahme- und Kommunikationssituation, die sie daran reizt. »I am on my own, but not alone.« Doch teilt sie viel mit dem Publikum. Im Rahmen der Reihe Rhythm Studies für reboot.fm widmet sie sich verschiedenen Musikstilen vom afrikanischen Kontinent, angefangen mit kamerunischem Bikutsi
Rhythm Studies ist ein Rechercheprojekt, durchgeplant und vorab produziert. Eigentlich aber mag M‘Bala es lieber, sich möglichst ungefiltert auszudrücken – vor allem in Live-Situationen. »Mein Aufwachsen als Schwarzes Mädchen in Deutschland war von vielen Kontrollsituationen geprägt. Du darfst das und das nicht zeigen, dieses und jenes nicht sagen. Beaucoup de non-dits, viel Nichtgesagtes. Und das will ich in meiner Praxis aufbrechen, denn wir brauchen das als Menschen.« Kein Wunder, dass die menschliche Stimme, Interview-Schnipsel und Samples ebenso wie ihr eigener Gesang und Rezitation von selbstverfassten Texten ein zentrales Element ihrer Werke darstellen.
Das gilt auch für die Arbeit, der sie zuletzt im Rahmen des Mentorship-Programms Amplify Berlin im ACUD MACHT NEU nachgegangen ist. Gemeinsam mit dem Produzenten Hainbach hat sie dabei als eine von zwei Teilnehmerinnen an neuem Material gearbeitet. Fünf Stücke sind dabei entstanden, wieder in drei Sprachen – und Babysprache, wie sie lachend hinzufügt: Auch ihre zweieinhalbjährige Tochter wird auf dem für Herbst geplanten EP-Release zu hören sein.
Ihr Mentor-auf-Augenhöhe und Ko-Produzent Hainbach habe gesagt, dass das Ergebnis nach »Kindheit im Weltall« klinge, meint M’Bala mit einem Lachen. Das passe, denn wie ein Alien sei sie sich schließlich auch als junge Schwarze in Deutschland vorgekommen. Damit aber hat sie ihren Frieden geschlossen. »Mittlerweile merke ich, dass es kein Nachteil ist, sich so zu fühlen. Es hat nichts mit Verlorensein zu tun, eine andere Perspektive einzunehmen.« Durch ihre Praxis, durch Sound wie durch begleitende Videos und Bildende Kunst will sie ihr Publikum an dieser teilhaben lassen. Wie es eben so ist, wenn jemand angekommen ist – immer in Bewegung, jenseits fixer Strukturen. ¶
Wir nutzen die von dir eingegebene E-Mail-Adresse, um dir in regelmäßigen Abständen unseren Newsletter senden zu können. Falls du es dir mal anders überlegst und keine Newsletter mehr von uns bekommen möchtest, findest du in jeder Mail in der Fußzeile einen Unsubscribe-Button. Damit kannst du deine E-Mail-Adresse aus unserem Verteiler löschen. Weitere Infos zum Thema Datenschutz findest du in unserer Datenschutzerklärung.
OUTERNATIONAL wird kuratiert von Elisa Erkelenz und ist ein Kooperationsprojekt von PODIUM Esslingen und VAN Magazin im Rahmen des Fellowship-Programms #bebeethoven anlässlich des Beethoven-Jubiläums 2020 – maßgeblich gefördert von der Kulturstiftung des Bundes sowie dem Land Baden-Württemberg, der Baden-Württemberg Stiftung und der L-Bank.
Wir nutzen die von dir eingegebene E-Mail-Adresse, um dir in regelmäßigen Abständen unseren Newsletter senden zu können. Falls du es dir mal anders überlegst und keine Newsletter mehr von uns bekommen möchtest, findest du in jeder Mail in der Fußzeile einen Unsubscribe-Button. Damit kannst du deine E-Mail-Adresse aus unserem Verteiler löschen. Weitere Infos zum Thema Datenschutz findest du in unserer Datenschutzerklärung.
OUTERNATIONAL wird kuratiert von Elisa Erkelenz und ist ein Kooperationsprojekt von PODIUM Esslingen und VAN Magazin im Rahmen des Fellowship-Programms #bebeethoven anlässlich des Beethoven-Jubiläums 2020 – maßgeblich gefördert von der Kulturstiftung des Bundes sowie dem Land Baden-Württemberg, der Baden-Württemberg Stiftung und der L-Bank.