Der Komponist Yannis Kyriakides hat für das Outernational-Projekt beim Rainy-Days-Festival in Luxemburg ein Werk komponiert, in dem es um das Nichtwissen geht. Musiker:innen unterschiedlicher Traditionen und mit verschiedenen persönlichen Geschichten interpretieren darin einen Text eines griechischen Philosophen. Es ist nicht das erste Mal, dass Kyriakides Text und Musik auf eine besondere Art und Weise verschmelzen lässt – auf ihn übt diese Kombination seit Jahren eine große Faszination aus. Wie das Nichtwissen klingt, mit welcher Musik er aufgewachsen ist und was er über das traditionelle Konzerterlebnis denkt, erzählt er im Interview.
Text Hannah Schmidt
Titelbild © Peter Gannushkin
Woher kommt deine Begeisterung für die Kombination von Musik und Text?
Im Grunde hat es in den späten 90ern angefangen, dass ich eine Faszination für die Idee entwickelt habe, Musik als eine Art Kommunikation zu begreifen. Ich fing an darüber nachzudenken, wie Musik als Sprache genutzt wird, oder eher als ein Ersatz für Sprache – vor allem in Bezug auf Dinge, die mit verborgener Kommunikation arbeiten, wie Kurzwellen-Radiosender. Später fing ich an über die verschiedenen Deutungsebenen nachzudenken, die Musik haben kann, darüber, wie Musik und Sprache einander überschneiden können – und begann mit projiziertem Text zu arbeiten.
Was kam dabei heraus?
Ich habe recherchiert wie wir einen Text mit unserer inneren Stimme mitsprechen würden, und habe darüber nachgedacht, wie wir unsere Stimme nutzen, um Musik zu hören. Musik wird zum Teil in unseren Köpfen wie Sprache verarbeitet. Das war höchst interessant.
In deiner Doktorarbeit schreibst du von einem »verstärkten Selbstbewusstsein durch die Kombination von Musik und Text« in Bezug auf die Hörenden. Hört ein selbstreflektiertes Publikum besser?
Häufig stellen wir uns beim Publikum Menschen vor, die völlig in der Situation aufgehen und alles um sich herum vergisst. Aber ich denke, es gibt auch die Ebene einer kritischen Distanz, durch die man verstehen und reflektieren kann, was man da gerade hört. Ich denke, es ist gut, beides zu haben: auf der einen Seite total eintauchen zu können, aber trotzdem einen Fuß draußen zu behalten und den Prozess gleichzeitig zu reflektieren. Wir müssen verstehen, dass es viele liquide Perspektiven des Zuhörens gibt, und die Perspektive zu wechseln kann etwas sehr Gutes sein.
Musik wird gerne als Sprache bezeichnet, die keiner Worte bedarf.
Das ist nur halb richtig. 99 Prozent der Musik hat ja Worte in sich, Stücke haben Titel oder soziale Kontexte, durch die Sprache immer gegenwärtig ist – es gibt keine totale Abstraktion. Auf gewisse Weise kann man Sprache von Musik nicht trennen. Die Vorstellung eines abstrakten Modernismus ist ein Stückweit Fiktion.
Dein aktuelles Werk knowing nothing ist sogar einem Text gewidmet, genauer den Worten des Philosophen Metrodorus von Chios: »None of us know anything, not even whether we know or do not know, nor do we know whether not knowing and knowing exist, nor in general whether there is anything or not.« Diese Zeilen erinnern mich an Sokrates’ »Ich weiß, dass ich nichts weiß« …
Ja, das stimmt – aber mit dem Unterschied, dass Chios sagt, dass wir noch nicht einmal wissen, dass so etwas wie Wissen existiert.
Warum hast du diesen Text für dein Werk ausgewählt?
Ich beziehe den Text ein bisschen auf mich selbst – denn wenn ich komponiere, habe ich das Gefühl, nichts zu wissen. Davon aber mal abgesehen habe ich nach einer gewissen Redundanz im Text gesucht, die in diesem Fall das Nichtwissen reflektiert.
Und wie klingt das bei dir, nichts zu wissen?
Im Stück arbeite ich mit verschiedenen Sprachen, in denen der Text vorgelesen wird, aber von einer Computerstimme, die die jeweiligen Texte und Worte nicht richtig aussprechen kann. Meine Idee war folgende: Ich weiß noch nicht einmal, wie ich sagen soll, dass ich nichts weiß. Es gibt eine Diskrepanz zwischen dem, was die Stimme sagt, und dem, wie sie es sagt, was dumm oder ignorant rüberkommt. Die Instrumente ahmen nach, was die Stimme sagt, sie spiegeln es – sind dabei in ihrer Art des Ausdrucks aber ganz frei. Ich will, dass sie den Phrasen eine Bedeutung in ihrer eigenen musikalischen Sprache einhauchen. Das ist es, was Musik bewirken kann. Die fürs Englische programmierte Computerstimme dagegen kann nur versuchen, verschiedene Sprachen zu sprechen, was auch einen kolonialen Aspekt hat: Das Englische erscheint hier als Killersprache, die alle anderen Sprachen zerstört.
In der Kombination mit den natürlichen Instrumenten klingt das vermutlich befremdlich.
Dieses hypermoderne Ding, die Computerstimme, bewirkt etwas Fremdartiges in diesem Kontext, und es lässt die Instrumente im Kontrast dazu sehr gleichberechtigt werden – obwohl sie so unterschiedlich sind und so verschiedener Traditionen entstammen.
Du hast für ein sehr vielfältiges Ensemble mit vielen traditionell griechischen Instrumenten komponiert. Ich finde in deiner Vita und deinem Schaffen kein anderes Werk, in dem du einen so starken Fokus auf die instrumentale Geschichte eines Landes setzt. Wie kam es dazu?
Es ist das erste Mal, dass ich mit nicht-westlichen Instrumenten gearbeitet habe – selbst wenn ich sagen würde, dass ich in meiner Musik durchaus von der traditionellen griechischen und türkischen klassischen Musik beeinflusst bin.
Warum hast du dann nie für die entsprechenden Instrumente komponiert?
Ich habe es zum Teil vermieden, weil ich dachte, dass ich mir die Musik damit auf gewisse Weise zu direkt aneigne, dass es zu exotisch wird oder eine Form von Andersartigkeit herstellt. Aber das Gefühl habe ich nicht mehr. Ich habe die Instrumente für das aktuelle Stück nicht selbst gewählt; Elisa Erkelenz hat das Ensemble zusammengestellt. Aber ich kannte einige der Musiker:innen schon vorher und wollte wirklich gern mit ihnen arbeiten – nicht wegen der Instrumente, die sie spielen, sondern wegen ihnen selbst. Nichtsdestotrotz war es herausfordernd, weil ich wirklich darüber nachdenken musste, wie ich am besten für diese Instrumente schreibe.
Du hast die ersten sechs Jahre deines Lebens auf Zypern in Griechenland verbracht. Sind diese Instrumente oder ihr Klang für dich mit persönlichen Erinnerungen verknüpft?
Auf gewisse Weise ja, weil mein Vater in den frühen 70ern einen Club für griechische und arabische Livemusik hatte. Ich wuchs also damit auf, viel griechische und nahöstliche Musik zu hören. Die Instrumente, für die ich jetzt auch komponiert habe, habe ich aber erst mit 18 Jahren wirklich für mich entdeckt. Damals bin ich für ein Jahr zurück nach Griechenland gegangen, weil ich etwas über die traditionelle Musik lernen wollte, und kam dort in Kontakt mit älteren traditionellen Instrumenten, die ich noch nie zuvor gehört hatte – Instrumente, die aus der byzantinischen und ottomanischen Tradition kamen. Das war anders als die sehr westlich beeinflusste, vielfach »Bouzouki«-Musik, die ich damals aus dem Club meines Vaters gehört habe.
Der Komponist Yannis Kyriakides zeigt, wie das Nichtwissen klingt.
In @vanmusik #outernational #11
Hast du auch gelernt, auf diesen Instrumenten zu spielen?
Ja, ich habe Oud bei Ross Daly gelernt. Damals hatte ich eine Art Identitätskrise und wollte meine musikalische Identität neu entdecken. Die Zeit war augenöffnend für mich.
Die Musiker:innen des Ensembles für knowing nothing kommen alle aus unterschiedlichen musikalischen Traditionen. Wie wird das die Interpretation deines Werks beeinflussen?
Auf der einen Seite wollte ich die Musiker:innen nicht zur selben musikalischen Sprache verpflichten, auf der anderen Seite hat das Stück eine klare Polyphonie, bei der sich viele Stimmen und Sprachen übereinander legen. Weil dort aber diese befremdliche Computerstimme neben den Instrumenten erklingt – eine Sprache, auf die sich jede:r bezieht –, müssen die Musiker:innen ihren eigenen Weg finden, sich dazu in Verbindung zu setzen. Ich erinnere mich an ein Konzert in Hamburg, wo ich mit den Chemirani brothers aufgetreten bin und die Live-Elektronik gemacht habe. Ich war damals sehr unsicher, wie sie darauf reagieren würden. Aber am Ende ging es wirklich gut. Musiker:innen finden offenbar immer einen Weg zu kommunizieren.
Werden die Musiker:innen Raum haben für Interpretation?
In diesem Stück nicht so sehr, die Improvisation beschränkt sich hier eher darauf, wie sie ihre Phrasen in ihrem eigenen Stil verzieren. Wirkliche Improvisation ist für mich aber mehr, nämlich die Freiheit in jede Richtung und an jeden Punkt gehen zu können.
Wo ist denn die Grenze zwischen Komposition und Musik, die improvisierend im Moment entsteht?
Als Komponist:in entwirfst du einen Raum mit einem Konzept oder einer Atmosphäre, einem Gefühl oder Regeln. In manchen Stücken ist bereits das kleinste musikalische Detail enorm wichtig, in anderen sind es aber die Regeln der Interaktion zwischen den Musiker:innen, die die Musik ausmachen. Das Konzept des open score interessiert mich sehr. Ein:e intelligent:e Musiker:in versteht, was die Idee des Stückes ist, sodass die Interpretation, die Improvisation von diesen Regeln geleitet werden kann.
Also bedeutet Improvisation in diesem Kontext doch nicht, ohne Regeln überall hingehen zu können? Dann wäre es innerhalb einer Komposition sehr wohl möglich.
Da gibt es Unterschiede. Bei manchen Werken von John Cage beispielsweise ist sehr klar, wo die Grenzen sind: Die Musiker:innen haben eine Vorstellung von seiner Klangwelt und können sie erforschen. Für mich ist es wichtig, dass die Musiker:innen die Charakteristika der »Partitur« verinnerlichen und sie auf ihre eigene Weise kommunizieren können.
Du bist manchmal selbst Teil der Interpretationen deiner Werke – in Luxemburg spielst du beispielsweise auch wieder die Liveelektronik. Wie ist es für dich deine eigene Musik zu interpretieren?
Grundsätzlich mag ich es nicht wirklich, auf der Bühne zu sein, aber ich liebe es, inmitten der Musik zu sein. In der Regel bin ich »vor dem Haus«, also hinter dem Mischpult. Bei knowing nothing spiele ich den Part der elektronischen Stimme, moduliere also ihren Ausdruck live – dabei werde ich aber auf der Bühne sein, weil es wichtig ist, dass das Publikum sieht, dass die Stimme zu einem Performer gehört.
Wir haben vorher schon über das Publikum, über die Zuhörer:innen gesprochen. Wie wichtig ist das Publikum für deine Arbeit? Denkst du an deine zukünftigen Hörer:innen, wenn du schreibst?
Das Publikum kann meine Musik so hören, wie es will – aber mir ist wichtig, die Rolle des Publikums als den Teil zu verstehen, der die Musik komplettiert. Ohne Zuhörer:innen gibt es kein Werk, und es gibt nicht nur einen Weg, so ein Werk zu hören. Mir ist vor allem wichtig, dass das Publikum selbst Verantwortung für sein Hören übernimmt.
Wenn wir über zeitgenössische Musik sprechen, ist es manchmal nicht ganz einfach zu beurteilen, ob ein Werk »gut« ist oder nicht – wenn diese Kategorien überhaupt sinnvoll sind. Was denkst du denn, was gute zeitgenössische Musik ausmacht?
Musik, die mich wirklich berührt, ist Musik, die mich auf eine neue Weise hören lässt. Das bedeutet nicht, dass das Werk eine komplett neue Sprache sprechen muss. Es geht mir mehr um die Vielschichtigkeit, die Musik haben kann, und die Hörperspektive, die sich damit verändert. Ein gutes Werk ist für mich etwas, das auf verschiedenen Leveln funktioniert und einen Hörraum erschafft, in dem das Publikum etwas Neues entdecken kann.
Ich denke, das hat auch damit zu tun, wie und wo wir Musik hören. Denken wir an unsere Konzerthallen, das stille Sitzen, nur zu klatschen, wenn es traditionell erlaubt ist und so weiter. Würdest du sagen, wir müssen das ändern?
Ich bin komplett für Veränderung. Es gibt manche Aspekte im traditionellen Kontext, die ich mag, und solche, die ich nicht mag. Ich mag Stille, besonders für bestimmte Werke klassischer Musik. Was mich hingegen oft abstößt, ist das Sitzarrangement. Ich sitze nicht gern in Reihen und habe die Musiker:innen oben auf einer Bühne. Ich mag Räume, die etwas unorganisierter sind, und wo man um die Musiker:innen herum stehen oder sitzen kann. Man fühlt sich der Musik näher, und die Erfahrung ist keine so hierarchische.
Und der formale Aspekt?
Ich kann mir keine Konzerte ohne Applaus vorstellen, ohne nach Verklingen der Musik selbst ein Geräusch zu erzeugen. Die Erfahrung der letzten Streamingkonzerte, bei denen wir uns selbst nur mit einem klatschenden Emoji ausdrücken können, finde ich traurig. ¶
Der Komponist Yannis Kyriakides hat für das Outernational-Projekt beim Rainy-Days-Festival in Luxemburg ein Werk komponiert, in dem es um das Nichtwissen geht. Musiker:innen unterschiedlicher Traditionen und mit verschiedenen persönlichen Geschichten interpretieren darin einen Text eines griechischen Philosophen. Es ist nicht das erste Mal, dass Kyriakides Text und Musik auf eine besondere Art und Weise verschmelzen lässt – auf ihn übt diese Kombination seit Jahren eine große Faszination aus. Wie das Nichtwissen klingt, mit welcher Musik er aufgewachsen ist und was er über das traditionelle Konzerterlebnis denkt, erzählt er im Interview.
Text Hannah Schmidt
Titelbild © Peter Gannushkin
Woher kommt deine Begeisterung für die Kombination von Musik und Text?
Im Grunde hat es in den späten 90ern angefangen, dass ich eine Faszination für die Idee entwickelt habe, Musik als eine Art Kommunikation zu begreifen. Ich fing an darüber nachzudenken, wie Musik als Sprache genutzt wird, oder eher als ein Ersatz für Sprache – vor allem in Bezug auf Dinge, die mit verborgener Kommunikation arbeiten, wie Kurzwellen-Radiosender. Später fing ich an über die verschiedenen Deutungsebenen nachzudenken, die Musik haben kann, darüber, wie Musik und Sprache einander überschneiden können – und begann mit projiziertem Text zu arbeiten.
Was kam dabei heraus?
Ich habe recherchiert wie wir einen Text mit unserer inneren Stimme mitsprechen würden, und habe darüber nachgedacht, wie wir unsere Stimme nutzen, um Musik zu hören. Musik wird zum Teil in unseren Köpfen wie Sprache verarbeitet. Das war höchst interessant.
In deiner Doktorarbeit schreibst du von einem »verstärkten Selbstbewusstsein durch die Kombination von Musik und Text« in Bezug auf die Hörenden. Hört ein selbstreflektiertes Publikum besser?
Häufig stellen wir uns beim Publikum Menschen vor, die völlig in der Situation aufgehen und alles um sich herum vergisst. Aber ich denke, es gibt auch die Ebene einer kritischen Distanz, durch die man verstehen und reflektieren kann, was man da gerade hört. Ich denke, es ist gut, beides zu haben: auf der einen Seite total eintauchen zu können, aber trotzdem einen Fuß draußen zu behalten und den Prozess gleichzeitig zu reflektieren. Wir müssen verstehen, dass es viele liquide Perspektiven des Zuhörens gibt, und die Perspektive zu wechseln kann etwas sehr Gutes sein.
Musik wird gerne als Sprache bezeichnet, die keiner Worte bedarf.
Das ist nur halb richtig. 99 Prozent der Musik hat ja Worte in sich, Stücke haben Titel oder soziale Kontexte, durch die Sprache immer gegenwärtig ist – es gibt keine totale Abstraktion. Auf gewisse Weise kann man Sprache von Musik nicht trennen. Die Vorstellung eines abstrakten Modernismus ist ein Stückweit Fiktion.
Dein aktuelles Werk knowing nothing ist sogar einem Text gewidmet, genauer den Worten des Philosophen Metrodorus von Chios: »None of us know anything, not even whether we know or do not know, nor do we know whether not knowing and knowing exist, nor in general whether there is anything or not.« Diese Zeilen erinnern mich an Sokrates’ »Ich weiß, dass ich nichts weiß« …
Ja, das stimmt – aber mit dem Unterschied, dass Chios sagt, dass wir noch nicht einmal wissen, dass so etwas wie Wissen existiert.
Warum hast du diesen Text für dein Werk ausgewählt?
Ich beziehe den Text ein bisschen auf mich selbst – denn wenn ich komponiere, habe ich das Gefühl, nichts zu wissen. Davon aber mal abgesehen habe ich nach einer gewissen Redundanz im Text gesucht, die in diesem Fall das Nichtwissen reflektiert.
Und wie klingt das bei dir, nichts zu wissen?
Im Stück arbeite ich mit verschiedenen Sprachen, in denen der Text vorgelesen wird, aber von einer Computerstimme, die die jeweiligen Texte und Worte nicht richtig aussprechen kann. Meine Idee war folgende: Ich weiß noch nicht einmal, wie ich sagen soll, dass ich nichts weiß. Es gibt eine Diskrepanz zwischen dem, was die Stimme sagt, und dem, wie sie es sagt, was dumm oder ignorant rüberkommt. Die Instrumente ahmen nach, was die Stimme sagt, sie spiegeln es – sind dabei in ihrer Art des Ausdrucks aber ganz frei. Ich will, dass sie den Phrasen eine Bedeutung in ihrer eigenen musikalischen Sprache einhauchen. Das ist es, was Musik bewirken kann. Die fürs Englische programmierte Computerstimme dagegen kann nur versuchen, verschiedene Sprachen zu sprechen, was auch einen kolonialen Aspekt hat: Das Englische erscheint hier als Killersprache, die alle anderen Sprachen zerstört.
In der Kombination mit den natürlichen Instrumenten klingt das vermutlich befremdlich.
Dieses hypermoderne Ding, die Computerstimme, bewirkt etwas Fremdartiges in diesem Kontext, und es lässt die Instrumente im Kontrast dazu sehr gleichberechtigt werden – obwohl sie so unterschiedlich sind und so verschiedener Traditionen entstammen.
Du hast für ein sehr vielfältiges Ensemble mit vielen traditionell griechischen Instrumenten komponiert. Ich finde in deiner Vita und deinem Schaffen kein anderes Werk, in dem du einen so starken Fokus auf die instrumentale Geschichte eines Landes setzt. Wie kam es dazu?
Es ist das erste Mal, dass ich mit nicht-westlichen Instrumenten gearbeitet habe – selbst wenn ich sagen würde, dass ich in meiner Musik durchaus von der traditionellen griechischen und türkischen klassischen Musik beeinflusst bin.
Warum hast du dann nie für die entsprechenden Instrumente komponiert?
Ich habe es zum Teil vermieden, weil ich dachte, dass ich mir die Musik damit auf gewisse Weise zu direkt aneigne, dass es zu exotisch wird oder eine Form von Andersartigkeit herstellt. Aber das Gefühl habe ich nicht mehr. Ich habe die Instrumente für das aktuelle Stück nicht selbst gewählt; Elisa Erkelenz hat das Ensemble zusammengestellt. Aber ich kannte einige der Musiker:innen schon vorher und wollte wirklich gern mit ihnen arbeiten – nicht wegen der Instrumente, die sie spielen, sondern wegen ihnen selbst. Nichtsdestotrotz war es herausfordernd, weil ich wirklich darüber nachdenken musste, wie ich am besten für diese Instrumente schreibe.
Du hast die ersten sechs Jahre deines Lebens auf Zypern in Griechenland verbracht. Sind diese Instrumente oder ihr Klang für dich mit persönlichen Erinnerungen verknüpft?
Auf gewisse Weise ja, weil mein Vater in den frühen 70ern einen Club für griechische und arabische Livemusik hatte. Ich wuchs also damit auf, viel griechische und nahöstliche Musik zu hören. Die Instrumente, für die ich jetzt auch komponiert habe, habe ich aber erst mit 18 Jahren wirklich für mich entdeckt. Damals bin ich für ein Jahr zurück nach Griechenland gegangen, weil ich etwas über die traditionelle Musik lernen wollte, und kam dort in Kontakt mit älteren traditionellen Instrumenten, die ich noch nie zuvor gehört hatte – Instrumente, die aus der byzantinischen und ottomanischen Tradition kamen. Das war anders als die sehr westlich beeinflusste, vielfach »Bouzouki«-Musik, die ich damals aus dem Club meines Vaters gehört habe.
Wendy M. K. Shaw erklärt, wie islamisches Ornament der Dekolonisierung von Musik dienen kann.
In @vanmusik #outernational #10
Hast du auch gelernt, auf diesen Instrumenten zu spielen?
Ja, ich habe Oud bei Ross Daly gelernt. Damals hatte ich eine Art Identitätskrise und wollte meine musikalische Identität neu entdecken. Die Zeit war augenöffnend für mich.
Die Musiker:innen des Ensembles für knowing nothing kommen alle aus unterschiedlichen musikalischen Traditionen. Wie wird das die Interpretation deines Werks beeinflussen?
Auf der einen Seite wollte ich die Musiker:innen nicht zur selben musikalischen Sprache verpflichten, auf der anderen Seite hat das Stück eine klare Polyphonie, bei der sich viele Stimmen und Sprachen übereinander legen. Weil dort aber diese befremdliche Computerstimme neben den Instrumenten erklingt – eine Sprache, auf die sich jede:r bezieht –, müssen die Musiker:innen ihren eigenen Weg finden, sich dazu in Verbindung zu setzen. Ich erinnere mich an ein Konzert in Hamburg, wo ich mit den Chemirani brothers aufgetreten bin und die Live-Elektronik gemacht habe. Ich war damals sehr unsicher, wie sie darauf reagieren würden. Aber am Ende ging es wirklich gut. Musiker:innen finden offenbar immer einen Weg zu kommunizieren.
Werden die Musiker:innen Raum haben für Interpretation?
In diesem Stück nicht so sehr, die Improvisation beschränkt sich hier eher darauf, wie sie ihre Phrasen in ihrem eigenen Stil verzieren. Wirkliche Improvisation ist für mich aber mehr, nämlich die Freiheit in jede Richtung und an jeden Punkt gehen zu können.
Wo ist denn die Grenze zwischen Komposition und Musik, die improvisierend im Moment entsteht?
Als Komponist:in entwirfst du einen Raum mit einem Konzept oder einer Atmosphäre, einem Gefühl oder Regeln. In manchen Stücken ist bereits das kleinste musikalische Detail enorm wichtig, in anderen sind es aber die Regeln der Interaktion zwischen den Musiker:innen, die die Musik ausmachen. Das Konzept des open score interessiert mich sehr. Ein:e intelligent:e Musiker:in versteht, was die Idee des Stückes ist, sodass die Interpretation, die Improvisation von diesen Regeln geleitet werden kann.
Also bedeutet Improvisation in diesem Kontext doch nicht, ohne Regeln überall hingehen zu können? Dann wäre es innerhalb einer Komposition sehr wohl möglich.
Da gibt es Unterschiede. Bei manchen Werken von John Cage beispielsweise ist sehr klar, wo die Grenzen sind: Die Musiker:innen haben eine Vorstellung von seiner Klangwelt und können sie erforschen. Für mich ist es wichtig, dass die Musiker:innen die Charakteristika der »Partitur« verinnerlichen und sie auf ihre eigene Weise kommunizieren können.
Du bist manchmal selbst Teil der Interpretationen deiner Werke – in Luxemburg spielst du beispielsweise auch wieder die Liveelektronik. Wie ist es für dich deine eigene Musik zu interpretieren?
Grundsätzlich mag ich es nicht wirklich, auf der Bühne zu sein, aber ich liebe es, inmitten der Musik zu sein. In der Regel bin ich »vor dem Haus«, also hinter dem Mischpult. Bei knowing nothing spiele ich den Part der elektronischen Stimme, moduliere also ihren Ausdruck live – dabei werde ich aber auf der Bühne sein, weil es wichtig ist, dass das Publikum sieht, dass die Stimme zu einem Performer gehört.
Wir haben vorher schon über das Publikum, über die Zuhörer:innen gesprochen. Wie wichtig ist das Publikum für deine Arbeit? Denkst du an deine zukünftigen Hörer:innen, wenn du schreibst?
Das Publikum kann meine Musik so hören, wie es will – aber mir ist wichtig, die Rolle des Publikums als den Teil zu verstehen, der die Musik komplettiert. Ohne Zuhörer:innen gibt es kein Werk, und es gibt nicht nur einen Weg, so ein Werk zu hören. Mir ist vor allem wichtig, dass das Publikum selbst Verantwortung für sein Hören übernimmt.
Wenn wir über zeitgenössische Musik sprechen, ist es manchmal nicht ganz einfach zu beurteilen, ob ein Werk »gut« ist oder nicht – wenn diese Kategorien überhaupt sinnvoll sind. Was denkst du denn, was gute zeitgenössische Musik ausmacht?
Musik, die mich wirklich berührt, ist Musik, die mich auf eine neue Weise hören lässt. Das bedeutet nicht, dass das Werk eine komplett neue Sprache sprechen muss. Es geht mir mehr um die Vielschichtigkeit, die Musik haben kann, und die Hörperspektive, die sich damit verändert. Ein gutes Werk ist für mich etwas, das auf verschiedenen Leveln funktioniert und einen Hörraum erschafft, in dem das Publikum etwas Neues entdecken kann.
Ich denke, das hat auch damit zu tun, wie und wo wir Musik hören. Denken wir an unsere Konzerthallen, das stille Sitzen, nur zu klatschen, wenn es traditionell erlaubt ist und so weiter. Würdest du sagen, wir müssen das ändern?
Ich bin komplett für Veränderung. Es gibt manche Aspekte im traditionellen Kontext, die ich mag, und solche, die ich nicht mag. Ich mag Stille, besonders für bestimmte Werke klassischer Musik. Was mich hingegen oft abstößt, ist das Sitzarrangement. Ich sitze nicht gern in Reihen und habe die Musiker:innen oben auf einer Bühne. Ich mag Räume, die etwas unorganisierter sind, und wo man um die Musiker:innen herum stehen oder sitzen kann. Man fühlt sich der Musik näher, und die Erfahrung ist keine so hierarchische.
Und der formale Aspekt?
Ich kann mir keine Konzerte ohne Applaus vorstellen, ohne nach Verklingen der Musik selbst ein Geräusch zu erzeugen. Die Erfahrung der letzten Streamingkonzerte, bei denen wir uns selbst nur mit einem klatschenden Emoji ausdrücken können, finde ich traurig. ¶
Wir nutzen die von dir eingegebene E-Mail-Adresse, um dir in regelmäßigen Abständen unseren Newsletter senden zu können. Falls du es dir mal anders überlegst und keine Newsletter mehr von uns bekommen möchtest, findest du in jeder Mail in der Fußzeile einen Unsubscribe-Button. Damit kannst du deine E-Mail-Adresse aus unserem Verteiler löschen. Weitere Infos zum Thema Datenschutz findest du in unserer Datenschutzerklärung.
OUTERNATIONAL wird kuratiert von Elisa Erkelenz und ist ein Kooperationsprojekt von PODIUM Esslingen und VAN Magazin im Rahmen des Fellowship-Programms #bebeethoven anlässlich des Beethoven-Jubiläums 2020 – maßgeblich gefördert von der Kulturstiftung des Bundes sowie dem Land Baden-Württemberg, der Baden-Württemberg Stiftung und der L-Bank.
Wir nutzen die von dir eingegebene E-Mail-Adresse, um dir in regelmäßigen Abständen unseren Newsletter senden zu können. Falls du es dir mal anders überlegst und keine Newsletter mehr von uns bekommen möchtest, findest du in jeder Mail in der Fußzeile einen Unsubscribe-Button. Damit kannst du deine E-Mail-Adresse aus unserem Verteiler löschen. Weitere Infos zum Thema Datenschutz findest du in unserer Datenschutzerklärung.
OUTERNATIONAL wird kuratiert von Elisa Erkelenz und ist ein Kooperationsprojekt von PODIUM Esslingen und VAN Magazin im Rahmen des Fellowship-Programms #bebeethoven anlässlich des Beethoven-Jubiläums 2020 – maßgeblich gefördert von der Kulturstiftung des Bundes sowie dem Land Baden-Württemberg, der Baden-Württemberg Stiftung und der L-Bank.