Text Elisa Erkelenz
In deiner Arbeit beschäftigst du dich mit Wasser. Steht das in Bezug zu den Flüssen, in denen Heilrituale stattfinden?
Auf meiner Reise als Klangheiler*in geht es mir darum, Wasser als Klangraum wirklich zu würdigen. Ich denke über das Wasser in uns und in allem, was uns umgibt, nach. Ich denke viel darüber nach, was Fluidität bewirkt und wie sich Schwingungen im Wasser ausbreiten. Ich hatte früher große Angst vor der Verbindung zu meinen Vorfahren und meinen eigenen Heilkräften. Das hatte viele Gründe – Stigma genau wie Erziehung. Es ändert sich gerade, aber lange Zeit wurde Klangheilung oder das Heilen allgemein mit älteren Menschen in Verbindung gebracht. So bin ich lange vor meiner Berufung davongelaufen. Als ich mit psychischen und emotionalen Problemen zu kämpfen hatte, wandte ich mich dem Klang zu und erkannte sein Heilungspotenzial.
Ich glaube, dass das gesellschaftliche Verständnis von Klangheilung sehr eingeengt ist. Die Leute denken an Gongs, Kristallkugeln und Klangschalen, es gibt all diese klischeehaften Assoziationen. Mich interessiert eine andere Seite der Klangheilung; eine, die unbequem, schmerzhaft und schmutzig ist, die von tief unten kommt und die dich nicht einlullt oder dir schön das Gehirn massiert. Manchmal werden Traumata aufgebrochen und Elemente zum Vorschein gebracht, bei denen man vielleicht noch nicht bereit ist zur Konfrontation. Und tatsächlich ist es gerade der Teil unseres Körpers, mit dem wir nicht in Verbindung stehen, der in meinem Ansatz der Klangheilung und in meiner Bewegung durch Klang widerhallt.
Du verwendest auch Kehlkopfgesang, steht das in Verbindung mit deiner Heilpraxis?
Als ich zu Hause in Limpopo war, dem Dorf, aus dem ich ursprünglich stamme, hörte ich die Leute immer aus der Ferne kehlsingen, wenn sie Kühe hüteten. Oder ich hörte die traditionellen Heiler – in Südafrika nennen wir sie Sangomas –, die um drei oder vier Uhr morgens zusammenkamen und diese Klänge erzeugten. Damals wusste ich gar nicht, dass sie aus ihren Kehlen kamen. Ich dachte, es sei irgendwas Anderes. Im Musikethnologie-Unterricht an der Universität hatten sie uns vom tuwinischen Kehlkopfgesang in Asien erzählt. Und ich dachte: »Na ja, das klingt ein bisschen anders als das, was ich zu Hause gehört habe.« Die Art und Weise, wie dieser Kehlkopfgesang klang, erinnerte an die Imitation von Wasser. Zu Hause ist Kehlkopfgesang eher mit der Luft, dem Wind und den Bäumen verbunden. Damit hatte ich aber auch wenig zu tun, bis ich in meine Heilungsreise hineinwuchs und akzeptiert habe, dass ich eine Berufung habe. Ich habe versucht, zunächst einfach normale Töne zu singen, und dann kam diese zusätzliche Stimmebene hinzu. Ich schmetterte sie fast heraus und versetzte mich selbst in Trance. Was da innerlich passiert, kommt der Transzendenz gleich: Ich finde mich dann in diesem Dorf mit drei sehr, sehr, sehr alten Frauen aus einem Ort in Südafrika wieder, von dem ich weiß, dass ich noch nie dort gewesen bin. Und obwohl es sich cool anhört, seine Stimmbänder in zwei oder drei Töne gleichzeitig aufzuspalten, ist das, was wirklich passiert, eine Portalöffnung, eine Entwurzelung. Es sind wirklich viel tiefere Dinge, die da passieren. Und ich denke, je näher ich meinen Vorfahren komme, desto näher komme ich den Geistern, die durch den Kehlkopfgesang sprechen. Wenn ich mit meiner Kehle singe, singe eigentlich nicht ich, ich bin nur der Körper. Ich rufe die Ahnengeister an, die in mir leben und mit denen ich diese Heilungsarbeit leiste, und sie fangen an, durch die Kehle zu sprechen, und das geschieht bei den verschiedenen Sangomas auf unterschiedliche Weise. Einige Sangomas arbeiten zur Heilung nicht notwendigerweise mit dem Medium Klang. Sie kanalisieren stattdessen Energien. Ich weiß, dass eine meiner Gaben die des Klangs ist und dass ich mit meiner Kehle Portale öffnen kann.
Hast du dir Aufnahmen von Kehlkopfsänger*innen angehört?
Das Interessante ist, dass ich eigentlich keine eigene Archivarbeit im Zusammenhang mit Kehlkopfgesang betreibe. Ein Grund dafür ist wohl, dass ich mir dessen bewusst bin, was es mit mir macht, und vielleicht auch, weil ich selbst noch am Anfang meiner Reise als Heilerin stehe. Ich gehe mit dem Aspekt des Kehlkopfgesangs sehr behutsam um und ich beschäftige mich mehr mit den Instrumenten. Meine Inspiration für die Archivierung hat mit Soundscapes zu tun und damit, dass Instrumente in unserer Wahrnehmung oft rein auf westliche Instrumente beschränkt werden. Das hat mir Unbehagen bereitet. Das wurde mir klar während eines Meisterkurses mit Moho Molikeng, mit dem ich seit sieben Jahren zusammen im Archiv arbeite. Er sagte, dass es allein in Südafrika 600 Instrumente gebe, die gespielt werden. Und das sind nur die indigenen Instrumente, von denen er weiß. Da habe ich mir gedacht: Sie sind vom Aussterben bedroht, weil kaum jemand noch diese Instrumente spielt, genau wie wir viele Sprachen nicht mehr so fließend sprechen wie früher. Die nächste Sprache, die vom Aussterben bedroht ist, ist die der Musik. Denn unsere rhythmischen Sequenzen und Strukturen und unsere harmonischen Assoziationen finden keinen Einklang mit der Zunge mehr, die die Sprache spricht, die das Denken beeinflusst.
Und so wurde es für mich als Komponistin enorm wichtig, Klänge, Rhythmen, Melodien und so weiter zu archivieren. All das, was die Sprache am Leben erhalten kann, wenn sie zu sehr kolonisiert wurde oder wenn sie sich über die Zeit so entwickelt hat, dass sie heute nicht mehr gesprochen wird. Ich archiviere Sprachen der Vergangenheit. Ich habe also mit der Stimme gearbeitet und mit verschiedenen Klangelementen, die nicht auf stereotyper Ebene als normaler oder korrekter Gesang gelten. Es gibt eine Menge davon. Anschleifen, Schmettern, schwankende Tonhöhen, das Hochziehen von Tönen. Diese Klangelemente finden sich überall in der indigenen Musik. Es gibt einfach eine Menge, was mit der Stimme jenseits des Kehlkopfgesangs passiert und was mich auf archivarischer Ebene interessiert. Aber auf der Performance-Ebene arbeite ich hauptsächlich mit Kehlkopfgesang und spiele etwa zehn indigene Instrumente. Ich wünschte, ich könnte mehr spielen.
Welche indigenen Instrumente spielst du?
Das eine heißt Chipendani, das ist ein kleiner Baumstamm. Es sieht fast so aus, als könnte es eine Bambusflöte oder eine Holzflöte sein, aber es hat keine Löcher. Es hat nur Einkerbungen und ist mit einem Schaft verbunden, den man rauf- und runterschiebt, um die Tonhöhe zu verändern. Es hat eine Klangfarbe, die man wirklich nicht mit einem Holzscheit oder einem Schlaginstrument ohne Saiten in Verbindung bringen würde. Es geht um den äußeren Wert eines Instruments, das eine gewisse Einfachheit hat, die dich, wenn du es einmal gespielt hast, umhaut. In Wirklichkeit ist es sehr komplex, weil es viele Tonhöhen und Frequenzen erzeugt, die man ihm sonst nicht zutrauen würde.
Das nächste Instrument ist die Lekolilo. Dabei handelt es sich buchstäblich um ein Rohr aus PVC. Es ist in einem bestimmten Winkel und in einer bestimmten Länge geschnitten. Man spielt es, indem man hineinbläst wie bei einem Rohrblattinstrument und den Boden öffnet und schließt, um mehr Frequenzen zu erzeugen. Jedes Rohr erzeugt etwa vier bis sieben Töne, wobei die Obertöne natürlich umfassender sind. Der Tonumfang ist von der Größe abhängig. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, mit ihnen zu spielen. Ich habe festgestellt, dass sich Ensembles mit drei oder vier Personen bilden lassen. Und als wir erstmal rausgefunden hatten, wie man die Instrumente spielt, fand ich die Synergie sehr schön. Es ist eine wirklich schöne Balance von Luft, Tonhöhe und Stimme.
Dann ist da noch meine erste Liebe, die Mbira. Ich stamme von den Monomotapa-Hügeln, auch bekannt als Great Zimbabwe. Mit der Mbira-Musik bete ich buchstäblich zu meinen Ahnen. Die Mbira ist auch als Kalimba, Daumenklavier und unter vielen anderen Namen bekannt. Sie hat eine ganz eigene Energie, die ich sehr schätze.
Du bewegst dich heute selbstverständlich zwischen verschiedenen Rollen – als Heilerin, Musikerin, Forscherin, Komponistin. Wie war es für dich, deinen Platz zu finden?
Es war wirklich toll, in einem Land aufzuwachsen und zu leben, in dem es viele spirituelle Menschen gibt. Wenn du hier irgendwo in der Natur wandern gehst, in einem Park oder sonst wo, wirst du mindestens einen Sangoma sehen. Aktuell versuchen wir, die Geschichte neu zu gestalten. Bevor es in Südafrika illegal war, traditionelle Heilungen durchzuführen, gab es eine Person pro Haushalt, die dafür verantwortlich war, die Verbindungen zu den Ahnen zu pflegen. Jetzt bringen wir diese Energie zurück und übersetzen sie auch in künstlerischen Räume. In den meisten Fällen ist der oder die Heiler*in auch der oder die Künstler*in der Familie. Wenn du in deiner inneren Welt bist, kann Kunst dir Zugang zu den Tiefen ermöglichen, auch im physischen Sinne. Künstler*innen sind für den spirituellen Körper zuständig, während Nyanga – die medizinischen Heiler*innen – für den physischen Körper verantwortlich sind. Sangoma bedeutet wörtlich Ngoma – und Ngoma bedeutet Musik.
Ich habe Angst davor, wie es wird, wenn ich in den Globalen Norden ziehe. Ich möchte nicht zur fetischisierten, exotischen, spirituellen Person verkommen. Denn ich denke, dass ich spirituelles Wissen mit der gleichen Komplexität, Intelligenz und Weisheit besitze wie die akademischeren Formen des Wissens. Ich finde darum, es passt, dass ich Doktorand*in an der Duke University sein werde und ein*e Sangoma aus Venda und Monomotapa, und außerdem eine sehr wilde Person der modernen Welt, polyamourös und queer.
Hast du schon ein konkretes Thema für deine Forschung in den USA?
Ich möchte die Archivarbeit, die ich bereits leiste, akademisch untermauern. Ich will eine Art Lexikon und Material für den pädagogischen Gebrauch entwickeln, mit Schwerpunkt auf afrikanischen Harmonien, Rhythmen und Kompositionstechniken. Ich untersuche auch, was es bedeuten kann, die gefährdeten Elemente indigener Musik zu nutzen und mit Künstlicher Intelligenz zu arbeiten, indem ich mit Maschinen komponiere, um verloren gegangenes Wissen zurückzubringen. Wenn wir also all diese indigenen Sprachen in unsere Codes einspeisen, was bringen sie dann wiederum hervor? Etwas Neues? Eine Wiederbelebung dessen, was verloren gegangen ist? Die eher experimentellen Elemente meiner Dissertation drehen sich um diese Fragen.
Wie sind Konzerte von dir gestaltet?
Ich bringe eher »unkonventionelle« kompositorische Ansätze ein. Ich sage »unkonventionell« in Anführungszeichen, weil sie in meiner Heimat sehr konventionell sind, aber es ist auch marginalisiert. Ich möchte der Idee nachgehen, dass der oder die Komponist*in einfach die Energie ist, die sich in einem Kollektiv von Menschen aufbaut, und nicht in einem einzelnen Kopf. Wir alle komponieren im Kollektiv. Ich baue meine Bewegungen um heilende Momente herum auf, um Trauer und um ihre Schönheit, um das Unbehagen und die Freude. Ich lasse Raum für Interaktion in Form von interaktiven, spielerischen, experimentellen Reaktionen. Und ich hoffe auf eine Zukunft, in der sich Menschen mit dieser Gabe überall als Teil dieser Welt bewegen können und sich nicht mehr so entfremdet fühlen müssen. Wir sind doch eigentlich hier, um zu dienen und zu heilen. ¶
Text Elisa Erkelenz
In deiner Arbeit beschäftigst du dich mit Wasser. Steht das in Bezug zu den Flüssen, in denen Heilrituale stattfinden?
Auf meiner Reise als Klangheiler*in geht es mir darum, Wasser als Klangraum wirklich zu würdigen. Ich denke über das Wasser in uns und in allem, was uns umgibt, nach. Ich denke viel darüber nach, was Fluidität bewirkt und wie sich Schwingungen im Wasser ausbreiten. Ich hatte früher große Angst vor der Verbindung zu meinen Vorfahren und meinen eigenen Heilkräften. Das hatte viele Gründe – Stigma genau wie Erziehung. Es ändert sich gerade, aber lange Zeit wurde Klangheilung oder das Heilen allgemein mit älteren Menschen in Verbindung gebracht. So bin ich lange vor meiner Berufung davongelaufen. Als ich mit psychischen und emotionalen Problemen zu kämpfen hatte, wandte ich mich dem Klang zu und erkannte sein Heilungspotenzial.
Ich glaube, dass das gesellschaftliche Verständnis von Klangheilung sehr eingeengt ist. Die Leute denken an Gongs, Kristallkugeln und Klangschalen, es gibt all diese klischeehaften Assoziationen. Mich interessiert eine andere Seite der Klangheilung; eine, die unbequem, schmerzhaft und schmutzig ist, die von tief unten kommt und die dich nicht einlullt oder dir schön das Gehirn massiert. Manchmal werden Traumata aufgebrochen und Elemente zum Vorschein gebracht, bei denen man vielleicht noch nicht bereit ist zur Konfrontation. Und tatsächlich ist es gerade der Teil unseres Körpers, mit dem wir nicht in Verbindung stehen, der in meinem Ansatz der Klangheilung und in meiner Bewegung durch Klang widerhallt.
Du verwendest auch Kehlkopfgesang, steht das in Verbindung mit deiner Heilpraxis?
Als ich zu Hause in Limpopo war, dem Dorf, aus dem ich ursprünglich stamme, hörte ich die Leute immer aus der Ferne kehlsingen, wenn sie Kühe hüteten. Oder ich hörte die traditionellen Heiler – in Südafrika nennen wir sie Sangomas –, die um drei oder vier Uhr morgens zusammenkamen und diese Klänge erzeugten. Damals wusste ich gar nicht, dass sie aus ihren Kehlen kamen. Ich dachte, es sei irgendwas Anderes. Im Musikethnologie-Unterricht an der Universität hatten sie uns vom tuwinischen Kehlkopfgesang in Asien erzählt. Und ich dachte: »Na ja, das klingt ein bisschen anders als das, was ich zu Hause gehört habe.« Die Art und Weise, wie dieser Kehlkopfgesang klang, erinnerte an die Imitation von Wasser. Zu Hause ist Kehlkopfgesang eher mit der Luft, dem Wind und den Bäumen verbunden. Damit hatte ich aber auch wenig zu tun, bis ich in meine Heilungsreise hineinwuchs und akzeptiert habe, dass ich eine Berufung habe. Ich habe versucht, zunächst einfach normale Töne zu singen, und dann kam diese zusätzliche Stimmebene hinzu. Ich schmetterte sie fast heraus und versetzte mich selbst in Trance. Was da innerlich passiert, kommt der Transzendenz gleich: Ich finde mich dann in diesem Dorf mit drei sehr, sehr, sehr alten Frauen aus einem Ort in Südafrika wieder, von dem ich weiß, dass ich noch nie dort gewesen bin. Und obwohl es sich cool anhört, seine Stimmbänder in zwei oder drei Töne gleichzeitig aufzuspalten, ist das, was wirklich passiert, eine Portalöffnung, eine Entwurzelung. Es sind wirklich viel tiefere Dinge, die da passieren. Und ich denke, je näher ich meinen Vorfahren komme, desto näher komme ich den Geistern, die durch den Kehlkopfgesang sprechen. Wenn ich mit meiner Kehle singe, singe eigentlich nicht ich, ich bin nur der Körper. Ich rufe die Ahnengeister an, die in mir leben und mit denen ich diese Heilungsarbeit leiste, und sie fangen an, durch die Kehle zu sprechen, und das geschieht bei den verschiedenen Sangomas auf unterschiedliche Weise. Einige Sangomas arbeiten zur Heilung nicht notwendigerweise mit dem Medium Klang. Sie kanalisieren stattdessen Energien. Ich weiß, dass eine meiner Gaben die des Klangs ist und dass ich mit meiner Kehle Portale öffnen kann.
Hast du dir Aufnahmen von Kehlkopfsänger*innen angehört?
Das Interessante ist, dass ich eigentlich keine eigene Archivarbeit im Zusammenhang mit Kehlkopfgesang betreibe. Ein Grund dafür ist wohl, dass ich mir dessen bewusst bin, was es mit mir macht, und vielleicht auch, weil ich selbst noch am Anfang meiner Reise als Heilerin stehe. Ich gehe mit dem Aspekt des Kehlkopfgesangs sehr behutsam um und ich beschäftige mich mehr mit den Instrumenten. Meine Inspiration für die Archivierung hat mit Soundscapes zu tun und damit, dass Instrumente in unserer Wahrnehmung oft rein auf westliche Instrumente beschränkt werden. Das hat mir Unbehagen bereitet. Das wurde mir klar während eines Meisterkurses mit Moho Molikeng, mit dem ich seit sieben Jahren zusammen im Archiv arbeite. Er sagte, dass es allein in Südafrika 600 Instrumente gebe, die gespielt werden. Und das sind nur die indigenen Instrumente, von denen er weiß. Da habe ich mir gedacht: Sie sind vom Aussterben bedroht, weil kaum jemand noch diese Instrumente spielt, genau wie wir viele Sprachen nicht mehr so fließend sprechen wie früher. Die nächste Sprache, die vom Aussterben bedroht ist, ist die der Musik. Denn unsere rhythmischen Sequenzen und Strukturen und unsere harmonischen Assoziationen finden keinen Einklang mit der Zunge mehr, die die Sprache spricht, die das Denken beeinflusst.
Und so wurde es für mich als Komponistin enorm wichtig, Klänge, Rhythmen, Melodien und so weiter zu archivieren. All das, was die Sprache am Leben erhalten kann, wenn sie zu sehr kolonisiert wurde oder wenn sie sich über die Zeit so entwickelt hat, dass sie heute nicht mehr gesprochen wird. Ich archiviere Sprachen der Vergangenheit. Ich habe also mit der Stimme gearbeitet und mit verschiedenen Klangelementen, die nicht auf stereotyper Ebene als normaler oder korrekter Gesang gelten. Es gibt eine Menge davon. Anschleifen, Schmettern, schwankende Tonhöhen, das Hochziehen von Tönen. Diese Klangelemente finden sich überall in der indigenen Musik. Es gibt einfach eine Menge, was mit der Stimme jenseits des Kehlkopfgesangs passiert und was mich auf archivarischer Ebene interessiert. Aber auf der Performance-Ebene arbeite ich hauptsächlich mit Kehlkopfgesang und spiele etwa zehn indigene Instrumente. Ich wünschte, ich könnte mehr spielen.
Welche indigenen Instrumente spielst du?
Das eine heißt Chipendani, das ist ein kleiner Baumstamm. Es sieht fast so aus, als könnte es eine Bambusflöte oder eine Holzflöte sein, aber es hat keine Löcher. Es hat nur Einkerbungen und ist mit einem Schaft verbunden, den man rauf- und runterschiebt, um die Tonhöhe zu verändern. Es hat eine Klangfarbe, die man wirklich nicht mit einem Holzscheit oder einem Schlaginstrument ohne Saiten in Verbindung bringen würde. Es geht um den äußeren Wert eines Instruments, das eine gewisse Einfachheit hat, die dich, wenn du es einmal gespielt hast, umhaut. In Wirklichkeit ist es sehr komplex, weil es viele Tonhöhen und Frequenzen erzeugt, die man ihm sonst nicht zutrauen würde.
Das nächste Instrument ist die Lekolilo. Dabei handelt es sich buchstäblich um ein Rohr aus PVC. Es ist in einem bestimmten Winkel und in einer bestimmten Länge geschnitten. Man spielt es, indem man hineinbläst wie bei einem Rohrblattinstrument und den Boden öffnet und schließt, um mehr Frequenzen zu erzeugen. Jedes Rohr erzeugt etwa vier bis sieben Töne, wobei die Obertöne natürlich umfassender sind. Der Tonumfang ist von der Größe abhängig. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, mit ihnen zu spielen. Ich habe festgestellt, dass sich Ensembles mit drei oder vier Personen bilden lassen. Und als wir erstmal rausgefunden hatten, wie man die Instrumente spielt, fand ich die Synergie sehr schön. Es ist eine wirklich schöne Balance von Luft, Tonhöhe und Stimme.
Dann ist da noch meine erste Liebe, die Mbira. Ich stamme von den Monomotapa-Hügeln, auch bekannt als Great Zimbabwe. Mit der Mbira-Musik bete ich buchstäblich zu meinen Ahnen. Die Mbira ist auch als Kalimba, Daumenklavier und unter vielen anderen Namen bekannt. Sie hat eine ganz eigene Energie, die ich sehr schätze.
Du bewegst dich heute selbstverständlich zwischen verschiedenen Rollen – als Heilerin, Musikerin, Forscherin, Komponistin. Wie war es für dich, deinen Platz zu finden?
Es war wirklich toll, in einem Land aufzuwachsen und zu leben, in dem es viele spirituelle Menschen gibt. Wenn du hier irgendwo in der Natur wandern gehst, in einem Park oder sonst wo, wirst du mindestens einen Sangoma sehen. Aktuell versuchen wir, die Geschichte neu zu gestalten. Bevor es in Südafrika illegal war, traditionelle Heilungen durchzuführen, gab es eine Person pro Haushalt, die dafür verantwortlich war, die Verbindungen zu den Ahnen zu pflegen. Jetzt bringen wir diese Energie zurück und übersetzen sie auch in künstlerischen Räume. In den meisten Fällen ist der oder die Heiler*in auch der oder die Künstler*in der Familie. Wenn du in deiner inneren Welt bist, kann Kunst dir Zugang zu den Tiefen ermöglichen, auch im physischen Sinne. Künstler*innen sind für den spirituellen Körper zuständig, während Nyanga – die medizinischen Heiler*innen – für den physischen Körper verantwortlich sind. Sangoma bedeutet wörtlich Ngoma – und Ngoma bedeutet Musik.
Ich habe Angst davor, wie es wird, wenn ich in den Globalen Norden ziehe. Ich möchte nicht zur fetischisierten, exotischen, spirituellen Person verkommen. Denn ich denke, dass ich spirituelles Wissen mit der gleichen Komplexität, Intelligenz und Weisheit besitze wie die akademischeren Formen des Wissens. Ich finde darum, es passt, dass ich Doktorand*in an der Duke University sein werde und ein*e Sangoma aus Venda und Monomotapa, und außerdem eine sehr wilde Person der modernen Welt, polyamourös und queer.
Hast du schon ein konkretes Thema für deine Forschung in den USA?
Ich möchte die Archivarbeit, die ich bereits leiste, akademisch untermauern. Ich will eine Art Lexikon und Material für den pädagogischen Gebrauch entwickeln, mit Schwerpunkt auf afrikanischen Harmonien, Rhythmen und Kompositionstechniken. Ich untersuche auch, was es bedeuten kann, die gefährdeten Elemente indigener Musik zu nutzen und mit Künstlicher Intelligenz zu arbeiten, indem ich mit Maschinen komponiere, um verloren gegangenes Wissen zurückzubringen. Wenn wir also all diese indigenen Sprachen in unsere Codes einspeisen, was bringen sie dann wiederum hervor? Etwas Neues? Eine Wiederbelebung dessen, was verloren gegangen ist? Die eher experimentellen Elemente meiner Dissertation drehen sich um diese Fragen.
Wie sind Konzerte von dir gestaltet?
Ich bringe eher »unkonventionelle« kompositorische Ansätze ein. Ich sage »unkonventionell« in Anführungszeichen, weil sie in meiner Heimat sehr konventionell sind, aber es ist auch marginalisiert. Ich möchte der Idee nachgehen, dass der oder die Komponist*in einfach die Energie ist, die sich in einem Kollektiv von Menschen aufbaut, und nicht in einem einzelnen Kopf. Wir alle komponieren im Kollektiv. Ich baue meine Bewegungen um heilende Momente herum auf, um Trauer und um ihre Schönheit, um das Unbehagen und die Freude. Ich lasse Raum für Interaktion in Form von interaktiven, spielerischen, experimentellen Reaktionen. Und ich hoffe auf eine Zukunft, in der sich Menschen mit dieser Gabe überall als Teil dieser Welt bewegen können und sich nicht mehr so entfremdet fühlen müssen. Wir sind doch eigentlich hier, um zu dienen und zu heilen. ¶
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OUTERNATIONAL wird kuratiert von Elisa Erkelenz und ist ein Kooperationsprojekt von PODIUM Esslingen und VAN Magazin im Rahmen des Fellowship-Programms #bebeethoven anlässlich des Beethoven-Jubiläums 2020 – maßgeblich gefördert von der Kulturstiftung des Bundes sowie dem Land Baden-Württemberg, der Baden-Württemberg Stiftung und der L-Bank.
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